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Jahresrückblick

Die Forschungshighlights des Jahres

Künstlerische Darstellung zweier kollidierender Neutronensterne. Ein kosmisches Ereignis, dass Gravitationswellen erzeugt. Bild: NSF/LIGO/Sonoma State University/A. Simonnet

Gravitationswellen, weltgrößter Röntgenlaser, Immuntherapie, Science March. Wir blicken zurück auf die Höhepunkte des Jahres 2017 aus Sicht der Wissenschaft.

Gravitationswellen: Ein neues Kapitel in der Astronomie

Gravitationswellen – die von Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie schon vor gut 100 Jahren vorhergesagten Schwingungen der Raumzeit – konnten 2016 erstmals nachgewiesen werden. Sie entstehen, wenn massereiche Objekte beschleunigt werden. Das macht sie besonders interessant für die Astronomie: Denn sie sind Zeugen von gigantischen kosmischen Ereignissen, wie dem Verschmelzen von Neutronensternen. Im August haben Forscher nun Gravitationswellen detektiert und erstmals gezielt ihre Teleskope auf die Region richten können, aus denen sie stammen. „Dass Strahlen und Wellen zeitversetzt erfasst wurden, gibt uns einzigartige Einblicke in die Physik rund um dieses Ereignis“, so Andreas von Kienlin vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching. Die quasi gleichzeitige Beobachtung bestätigt, dass verschmelzende Neutronensterne tatsächlich die Vorläufer von kurzen, sehr energiereichen Ausbrüchen sind, die von Astronomen als sGRBs bezeichnet werden. Bei den Beobachtungen haben Forscher der Max-Planck-Institute für Gravitationsphysik sowie für Astrophysik und für extraterrestrische Physik eine zentrale Rolle gespielt. Sie konnten die Gravitationswellen mit drei Detektoren messen, zwei in den USA und einem in Italien. Die folgenden Beobachtungen mit Teleskopen auf der Erde ergaben zudem, dass bei der Verschmelzung schwere Elemente entstehen, deren radioaktiver Zerfall so kurz nach dem Ereignis zum ersten Mal beobachtet werden konnte. „Es war ein ganz besonderes Ereignis, das wir am 17. August 2017 mit unseren Instrumenten im Bereich der Gammastrahlung entdeckt haben“, betont Kienlin. Hierdurch sei eine neue Ära der Astrophysik eingeläutet worden. „Wir planen während der nächsten Beobachtungsperiode, die im Herbst 2018 beginnen soll, zur Entdeckung weiterer ähnlicher Ereignisse beizutragen.“

Gravitationswellen: "Eien neue Ära der Astronomie hat begonnen"

Nobelpreis 2017 für den Nachweis von Gravitationswellen

Schelfeiskante. Bild AWI

Antarktis: Ein gigantischer Eisberg spaltet sich ab

12. Juli 2017, vor der Ostküste der Antarktischen Halbinsel: Der Riss im Larsen-C-Schelfeis erreichte die Eisfront und ein etwa 5.800 Quadratkilometer großer Tafeleisberg löste sich ab. Daniela Jansen hatte diesen Moment bereits erwartet, über die letzten Jahre hatten Wissenschaftler die Entwicklung mit Satellitendaten beobachtet. Die Glaziologin erforscht am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung das Fließverhalten von Eis, von mikroskopischen Betrachtungen einzelner Eiskristalle bis zur Deformation der Eisschilde: "Die neue Eisfront des Larsen-C-Schelfeises hatte sich weiter zurückgezogen als jemals zuvor beobachtet." Der Zerfall von Schelfeisen gilt als Zeichen für die zunehmende Destabilisierung des antarktischen Eises und dem damit einhergehenden Meeresspiegelanstieg. "Das Kalben eines Tafeleisbergs an sich ist ein natürlicher Vorgang und geschieht unabhängig von der Erwärmung des Klimas", sagt Jansen. "Der Eisberg ist in diesem Fall aber gewissermaßen 'zu früh' abgebrochen. Nun könnte die Schelfeiskante Modellrechnungen zufolge instabil sein." Ein Grund dafür ist vielleicht, dass sich das alte, dicke Meereis vor der Küste, das vorhandene Risse im Schelfeis stabilisiert, schon seit den 1970er Jahren zurückzieht, was mit der lokalen Erwärmung zusammenhängt. Diese Prozesse, einmal angestoßen, offenbaren erst nach Jahrzehnten ihr ganzes Ausmaß, und sind auch weiterhin Thema für die Forschung.

Ein gigantischer Eisberg ist entstanden

Der 1,7 Kilometer supraleitende Elektronenlinearbeschleuniger Bild: European XFEL

European XFEL: Weltgrößter Röntgenlaser geht in Betrieb

38 Meter in der Tiefe, unter dem Gelände des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) in Hamburg, befindet sich eine dreieinhalb Kilometer lange, begehbare Röhre. Dort ging am 1. September 2017 der European XFEL (englisch X-ray Free-Electron Laser) in Betrieb, der leistungsstärkste Röntgenlaser der Welt. Die riesige Forschungsanlage erzeugt ultrakurze Laserlichtblitze im Röntgenbereich: 27.000 Mal in der Sekunde und milliardenfach intensiver als die der besten herkömmlichen Röntgenquellen. Forscher aus aller Welt nutzen die Anlage als Riesenmikroskop und können dort von nun an unterschiedliche Materialien durchleuchten. Chemiker können präzise verfolgen, wie molekulare Reaktionen ablaufen. Geoforscher werden den Einfluss künstlicher Schockwellen in Gesteinsproben studieren und Molekularbiologen Bilder von einzelnen Proteinen aufnehmen. "Mit dem European XFEL können wir in den Maschinenraum der Nanowelt gucken", sagt Helmut Dosch, Vorsitzender des DESY-Direktoriums. "Die Röntgenpulse machen einzelne Atome in einem Molekül sichtbar. Sie sind weniger als 100 billiardstel Sekunden kurz, wodurch sich zudem extrem schnelle Vorgänge verfolgen lassen, zum Beispiel chemische Reaktionen." Elf europäische Staaten sind unter dem Dach der gemeinnützigen European XFEL GmbH am Bau der neuen Forschungseinrichtung beteiligt, einem 1,2 Milliarden-Euro-Projekt mit DESY als Hauptgesellschafter. Noch befindet sich die gigantische Anlage im Aufbau. 2018 werden weitere Messstrecken aufgebaut und der Beschleuniger sukzessive zu seiner vollen Stärke hochgefahren.

Weltgrößter Röntgenlaser geht in Betrieb

Bild: Juan Gärtner/Fotolia

Immuntherapie: Eine neue Waffe gegen Krebs

Unser Immunsystem ist nicht machtlos gegenüber Krebszellen. Es kann entartete Zellen durchaus erkennen und vernichten. Tumorzellen entwickeln allerdings Mechanismen, um sich dieser Abwehr zu entziehen. Ein zentrales Problem dabei: Krebszellen tarnen sich, so dass sie äußerlich kaum von gesunden Zellen unterscheidbar sind. Diese Tarnung entschärft eine der Hauptwaffen unseres Immunsystems, die sogenannten T-Zellen. Auf ihrer Oberfläche sitzen Rezeptoren, mit denen sie Krankheitserreger oder auch entartete Zellen erkennen können - um sie dann zu vernichten. Im Sommer 2017 hat die US-Arzneimittelbehörde FDA erstmals eine Zelltherapie zur Krebshandlung zugelassen, die genau dort ansetzt. Dabei werden T-Zellen aus dem Blut des Patienten isoliert und im Labor mit dem Gen für einen chimären Antigenrezeptor (CAR) versehen. Besonders erfolgreich war man dabei mit dem Antigen CD19. Durch diese Genmanipulation erkennen CAR-T-Zellen nun auch Krebszellen. Schon eine T-Zelle kann um die 1.000 Tumorzellen zerstören. Diese Therapie wird in den USA bei Patienten mit lymphoblastischer Leukämie angewendet. "Die Zulassung dieser Therapien ist ein Meilenstein in der Entwicklung zellulärer Immuntherapien", sagt Dirk Jäger, Direktor der medizinischen Onkologie des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen in Heidelberg. Damit bestehe die Chance, die Symptome auch langfristig abzuschwächen. Bislang treten bei der Therapie aber noch schwere Nebenwirkungen auf.

Bild: Oliver Scheele

March for Science: Wissenschaft geht auf die Straße

Im April dieses Jahres haben weltweit 1,3 Millionen Menschen für die Freiheit der Wissenschaft demonstriert. In Zeiten von "Fake News"-Debatten wollte die Wissenschaft auch ihre Glaubwürdigkeit untermauern. Deshalb waren nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Unterstützer gesellschaftlicher Aufklärung beim March for Science auf der Straße. "Ein wichtiges Signal", nannte Helmholtz-Präsident Otmar D. Wiestler dies: "Die Anliegen der Wissenschaft werden durch eine solche Aktion auch in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen." Ihren Ursprung hat die Bewegung in den USA genommen, wo einige irrationale Strömungen gegen Wissenschaft bereits besonders stark geworden sind. Aber auch in Deutschland besteht Grund aufzuhorchen: Laut Wissenschaftsbarometer 2017 vertrauen nur 12 Prozent der Befragten Wissenschaft und Forschung "voll und ganz" und 38 Prozent "eher". 9 Prozent sind unentschieden, 37 Prozent vertrauen Wissenschaft und Forschung "eher nicht" und 3 Prozent "nicht". "Wir Wissenschaftler sollten unsere Stimme erheben, wenn die Freiheit der Wissenschaft in Frage gestellt wird", so Wiestler. "Sie ist ein hohes Gut, für das wir uns auch aktiv einsetzen sollten." In Deutschland hat March for Science eine zentrale Koordinationsstelle. Die einzelnen Kundgebungen werden in den Städten von lokalen Teams eigenverantwortlich organisiert. 2017 standen Demonstrationen im Vordergrund. 2018 soll der March for Science "deutlich facettenreicher werden, Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft stärker im Vordergrund stehen", so die deutsche Koordinierungsstelle. "Zum anderen, wird das Wissenschaftssystem auch selbstkritisch nach innen blicken." Am 14. April 2018 ist es soweit.

March for Science

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