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Servicerobotik

„Die Förderung ist oft zu kleinteilig“

Foto: Jens Kilian

Deutschland droht in einem wichtigen Zukunftsmarkt den Anschluss zu verlieren. Diese Sorge äußerte die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) jüngst in ihrem Jahresgutachten. Warum ist das so? Und was muss jetzt getan werden? Fragen an Kommissionsmitglied Ingrid Ott vom Karlsruher Institut für Technologie

Was umfasst der Begriff „Servicerobotik“ eigentlich genau?

Servicerobotik bezieht sich auf die Automatisierung von Dienstleistungsprozessen. In der industriellen Fertigung kennen wir Automatisierung seit vielen Jahrzehnten. Durch technischen Fortschritt sind moderne Roboter kleiner, leichter, flexibler im Einsatz und kostengünstiger geworden. Damit erobern sie auch neue Einsatzgebiete. Moderne Roboter verlassen nicht nur streng abgeriegelte Sicherheitsräume, sondern auch Fabrikhallen. Anders formuliert: Roboter werden zunehmend auch jenseits der industriellen Fertigung eingesetzt und dringen in weitere Bereiche vor.

Wie ist die Servicerobotik gesamtwirtschaftlich einzuschätzen? 

In den Industrienationen ist der Dienstleistungssektor bei Wertschöpfung und Beschäftigung mittlerweile größer als der industrielle Sektor. Marktprognosen besagen, dass die Servicerobotik die Industrierobotik hinsichtlich des weltweiten Marktvolumens bereits um das Jahr 2020 bis 2025 einholen wird. In allen Wirtschaftsbereichen – auch im Dienstleitungssektor – steht Deutschland in einem harten internationalen Wettbewerb. Gleichzeitig ist zunehmende Automatisierung ein weltweit beobachtbarer Trend. Darum sagen wir als Expertenkommission: Deutschland darf sich nicht auf dem Status quo ausruhen. Dafür wollen wir ein Bewusstsein schaffen.

Wie soll dieses Bewusstsein aussehen? Was müsste in Deutschland passieren, um diesen Bereich zu stärken?

Schauen Sie sich etwa Robotik-Patentanmeldungen oder -Publikationen im internationalen Vergleich an, getrennt nach Industrie- und Dienstleistungsbereich: Deutschland droht nicht nur den Anschluss an die führenden Robotik-Nationen, insbesondere die USA, zu verlieren. Im Bereich der Grundlagenforschung haben sowohl Südkorea als auch China Deutschland bereits überholt. In der Anwendungsforschung holen beide Länder rapide auf – und zwar nicht nur in der Industrierobotik, sondern insbesondere auch in der Servicerobotik. Wir waren im vergangenen Jahr in Japan und Südkorea und konnten dort mit Vertretern von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sprechen – für sie ist insbesondere die Servicerobotik ein zentrales Thema. Sowohl Japan als auch Südkorea verfügen über eine koordinierte Robotikstrategie. In Deutschland erfolgt die Robotikförderung eher kleinteilig. Auch hier gibt es verschiedene Förderformate, aber man gewinnt den Eindruck, dass der Fokus auf den industriellen Kontext gesetzt ist. Gerade weil die Servicerobotik ein enormer Zukunftsmarkt ist, sollte auch die Politik hier genauer hinschauen.

Mit Servicerobotern verbinde ich vor allem dreierlei: den chirurgisch-medizinischen Bereich, japanische Pflegeroboter, bei denen sich mir die Frage aufdrängt, ob wir nicht eher an der menschlichen Zuwendung arbeiten sollten. Und schließlich diese Staubsauger-Roboter, die eher wie eine Spielerei wirken … 

Das sind drei von mehreren Feldern, in denen Sie den Einsatz von Servicerobotern beobachten können. Es gibt weitere, wie etwa die Landwirtschaft, Freizeit und Unterhaltung oder Logistik. Es wird unterschieden zwischen Servicerobotik für den gewerblichen Bereich und für die private Nutzung. Servicerobotik ist viel variantenreicher als die Industrierobotik. Auch in den Preisen unterscheiden sich Serviceroboter stark. Das reicht von mehreren hundert Euro für einen Saugroboter bis zu 1,5 Millionen Euro für einen Medizinroboter.

Aber will ich in der Pflege lieber einen Roboter als einen Menschen?

Ich würde den Fokus anders setzen. Die Frage ist nicht, ob der Roboter den Menschen verdrängt, sondern inwiefern sich Mensch und Maschine ergänzen. Es gibt viele Einsatzbereiche, in denen ein Pflegeroboter eine enorme Erleichterung darstellen kann. Warum müssen wir einen Menschen dafür einsetzen, schmutzige Wäsche zur Waschmaschine zu bringen? Die Technik eröffnet den Pflegenden die Möglichkeit, sich vermehrt jenen Aufgaben zu widmen, aufgrund derer sie den Beruf ergriffen haben: dem Kontakt mit Menschen. Auch im Bereich Demenz kann Pflegerobotik sehr hilfreich für Angehörige und Pflegekräfte sein. Wenn Kranke immer wieder dieselben Fragen stellen, ist es vielleicht gar nicht schlecht, wenn da eine Maschine ist, die diese Fragen unermüdlich beantwortet. Da werden die Pflegenden auf einer mentalen Ebene entlastet.

Aber Roboter, die Bettlägerige füttern, waschen und wickeln? Das wirkt sehr kalt…

Nehme ich für die Pflege Hilfskräfte, hole ich Personen aus dem Ausland oder setze ich auf Technologie? Das ist eine Frage, die auch im gesellschaftlichen Diskurs entschieden wird. Japan ist genau wie Deutschland eine alternde, schrumpfende Nation. Dort hat man sich schon sehr früh der Frage gestellt, wie man seine pflegebedürftigen Mitbürger versorgen will. Kulturell bedingt haben es Japaner sogar lieber, wenn sich eine Maschine um sie kümmert, als ein fremder Mensch.

Ein anderer gesellschaftlicher Diskurs ist, ob Serviceroboter Jobkiller sind oder zu sinkenden Löhnen in bestimmten Bereichen führen. Wie stehen Sie dazu?

Ich verstehe das Argument im Grundsatz, und diese Diskussion wird derzeit – wieder – intensiv geführt. Aber ich teile die Ängste nicht. Schon vor 50 Jahren, ja bereits beim Aufkommen der Webstühle gab es leidenschaftliche Diskussionen um die Arbeitsmarktimplikationen von Automatisierung: Was passiert jetzt mit der menschlichen Arbeitskraft? Auf der volkswirtschaftlichen Ebene war es in der Vergangenheit so, dass nicht etwa flächendeckend Arbeitsplätze weggefallen wären. Stattdessen haben sich Arbeitsplätze verändert mit dem Ergebnis, dass viele Arbeitskräfte produktiver wurden. Und zwar nicht zuletzt, weil ihnen die Technologie ungesunde oder langweilige Tätigkeiten abgenommen hat. Heute sind wir froh, dass etwa Autos nicht mehr manuell lackiert werden und die Lackierer nicht mehr diesen enormen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt sind.

Die Ängste sind trotzdem real …

Darum ist es ja so wichtig, dass wir die Technologie-Entwicklung und die Qualifikationsanforderungen für Arbeitskräfte simultan im Blick haben und aufeinander abstimmen. Wir müssen Arbeitskräfte so schulen, dass sie mit der Technologie interagieren und die neu entstehenden Freiräume nutzen können. Es ist extrem wichtig, dass wir unser Bildungssystem regelmäßig anpassen. Das Ausbildungssystem war in der Vergangenheit ein Garant dafür, dass die Arbeitsmärkte in Deutschland die Folgen von technologischem Fortschritt recht erfolgreich bewältigt haben, Wichtig ist aber auch, dass der Umgang mit Technologie „gelernt“ – und ein Bewusstsein sowohl für die Chancen als auch die Risiken, geschaffen wird.

Schon in den Grundschulen?

Das fängt in den Grundschulen an, geht an den Schulen und Universitäten weiter und betrifft nicht zuletzt die Aus- und Weiterbildung. Im internationalen Vergleich haben wir ein extrem leistungsfähiges Ausbildungssystem. Das duale System umfasst Ausbildungsordnungen, die sich regelmäßig verändern, die an technologische Entwicklungen angepasst werden. Diese Stärke müssen wir beibehalten, und niemand sollte Angst haben, sich zu verändern.

Haben Sie zuhause schon einen Saugroboter?

Nein. Bei der Größe meiner Wohnung bewältige ich diese Aufgabe noch problemlos selbstständig. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich mir diese Arbeit, wenn ich sie selbst nicht mehr verrichten kann oder mag, von einem Roboter abnehmen lasse. 

Prof. Ingrid Ott. Bild. David Ausserhofer

Ingrid Ott ist Professorin am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Ihr besonderes Interesse gilt Innovationsprozessen, produktiven Staatsausgaben, der Entstehung und Diffusion von Wissen sowie der Rolle von Humankapital als bedeutendem Wirtschaftstreiber. Sie gehört der von der Bundesregierung eingerichteten Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) an, die jährlich Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands erstellt.

Prof. Ingrid Ott (KIT)

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