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Fokus@Helmholtz

Der Drang nach dem perfekten Sein

Vlnr.: Arnold Sauter, Bastian Greshake, Janine Tychsen, Ariadne von Schirach, Ralf Kühn. Photo: Helmholtz

Ein langes Leben - möglichst gesund, fit im Kopf und in körperlicher Bestform. Diesen Wunsch haben wohl die meisten Menschen. Der Markt reagiert mit Angeboten zur digitalen Selbstvermessung und auch die Forschung beschäftigt sich mit diesem Thema. In Berlin diskutierten Wissenschaftler und Philosophen in der Veranstaltungsreihe "Fokus@Helmholtz".

In Berlin diskutierten:
  • Bastian Greshake – promoviert an der Goethe-Universität Frankfurt im Bereich der Angewandten Bioinformatik, Gründer der Plattform openSNP
  • Dr. Ralf Kühn – Gruppenleiter iPS Zellbasierte Krankheitsmodellierung, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft; Forschungsgruppenleiter Transgene Techniken, Berlin Institute of Health (BIH)
  • Dr. Arnold Sauter – Stellvertretender Leiter Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag
  • Ariadne von Schirach – Philosophin und Autorin des Buches „Du sollst nicht funktionieren“

Moderation: Janine Tychsen

Wer will sich nicht noch ein bisschen fitter, schöner und gesünder fühlen – oder beruflich weiter vorankommen? Der Markt zur Selbstoptimierung boomt: Immer neue Ratgeber, Ernährungskonzepte, Apps, Kurse, Pillen und vielleicht sogar genetisches Engineering versprechen ein besseres und längeres Leben. Doch fühlen wir uns am Ende wirklich gesünder? In welche Richtung läuft die Optimierung? Und was hat sie mit einem besseren Leben zu tun? Oder ist das ständige Optimieren nur ein sozialer Ritus, an dem viele teilnehmen, um nicht etwa als Verlierer dazustehen? In der Podiumsdiskussion „Höher, schneller, weiter! Der Drang nach dem perfekten Sein” wurde schnell klar, dass es zu diesem modernen Phänomen sehr kontroverse Standpunkte gibt.

Arnold Sauter vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag sieht mehrere Triebkräfte hinter dem in den vergangenen Jahren stark gewachsenen Hang zur Selbstoptimierung. In seinem kurzen einführenden Vortrag nannte er einerseits den Wegfall traditioneller Strukturen und religiöser Bindungen. Diese bedingten eine geringere Einbettung des Einzelnen in der Gesellschaft und auch eine nachlassende spirituelle Orientierung. Damit einher gehe der zunehmende Kult um die eigene Körperlichkeit. Zudem ergänze sich der wachsende Zwang zu Selbstvermarktung in der heutigen Ökonomie mit der Hoffnung, dank wissenschaftlicher Erkenntnisse auch sich selbst stetig weiter verbessern zu können.

Bastian Greshake bekannte sich ganz offen dazu, sich gesünder und wohler zu fühlen, wenn er die Möglichkeiten der modernen Technik zur Selbstoptimierung nutzt. Und das tut der Doktorand in angewandter Bioinformatik an der Goethe-Universität Frankfurt ausgiebig. Er analysiert nicht nur seine Ernährung, seinen Schlaf und seine sportliche Aktivität akribisch. Er hat auch eine für jedermann offene Datenbank für Gen-Daten eingerichtet. Jeder, der einen Gentest gemacht hat, kann seine Daten dort hochladen und der Forschung zur Verfügung stellen. So profitieren nicht nur große Firmen davon. Mit Arnold Sauter ist er sich jedoch darüber einig, dass viele Erwartungen an solche Gentests deutlich zu hoch gesteckt sind: Noch lassen sich nämlich nur wenige medizinisch wirklich relevante Informationen aus den Daten ziehen.

Doch das Wissen um die genetischen Zusammenhänge wächst immer weiter. Mit neuen Methoden wird auch die gezielte Manipulation von Genen möglich – etwas, von dem frühere Wissenschaftler kaum zu träumen wagten. „Mit Eingriffen in die menschliche Keimbahn ließen sich etwa Erbkrankheiten behandeln”, sagt Ralf Kühn vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin. Damit könnte man zum Beispiel die Entstehung von Krankheiten wie Sichelzellenanämie verhindern. In Deutschland sind solche Techniken derzeit zwar verboten, in anderen Ländern jedoch nicht.

Immer intensiver muss man sich deshalb auch mit schwierigen ethischen und juristischen Fragen auseinandersetzen, stimmte das Podium überein. „Wenn man etwas machen kann, wird es auch gemacht”, konstatierte Ariadne von Schirach. Die Philosophin und Autorin hat mit ihrem Buch „Du sollst nicht funktionieren“ ein flammendes Plädoyer gegen den wachsenden Trend zu Selbstoptimierung und -vermarktung gehalten. Sie hält es für gefährlich, wenn die Ökonomisierung der Welt dazu führt, dass der eigene Selbstwert sich nur noch aus dem Marktwert ergibt. Die Perfektionierung des Äußeren könne dann nur zulasten der Innerlichkeit gehen. Von Schirach sieht hier einen bedenklich einseitigen Zug der Gegenwartskultur. Der Einzelne müsse deshalb immer besser wählen, inwieweit er gesellschaftlichen Trends oder seinen eigenen Präferenzen folge. Das Paradoxe an der Selbstoptimierung sei doch, dass sie einerseits von außen auferlegten Regeln folge, zugleich jedoch egozentrisch sei. Als Gegenrezept schlägt von Schirach Mut zur Selbstvergessenheit vor.

Bei allen Differenzen waren sich die Diskutanten über eines einig: Die Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit, das sogenannte Neuro-Enhancement, ist medial wohl deutlich überbewertet. Während sich im Spitzensport durch entsprechende Substanzen hier und da noch einige Prozent in puncto Kraft und Ausdauer herauskitzeln lassen, lässt sich das Gehirn nicht so einfach optimieren. Bislang ist keine Substanz bekannt, mit der man sein Gehirn spürbar dopen könnte. Offensichtlich funktioniert das Gehirn gesunder Menschen schon so gut, dass fremde Wirkstoffe es kaum weiter verbessern können. Und wer hat je behauptet, dass höhere Intelligenz automatisch glücklich macht?

Stimmen der Diskutanten:

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