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Technologie

Faktor Mensch

Bild: denisismagilov/Fotolia, Kamenetskiy onstantin/shutterstock

Egal ob Energiewende, selbstfahrende Autos oder neue Glühbirnen, Technik bietet uns immer wieder neue Möglichkeiten. Damit sich die Neuerungen durchsetzen, müssen wir sie aber erst mal akzeptieren.

Angespannt schaut der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann vom Beifahrerplatz hinüber zum Lenkrad. Tempo 80 zeigt der Tachometer. Der gewaltige Lastwagen fährt über eine dreispurige Autobahn, und soeben hat der Mann am Steuer seine Hände hinter dem Kopf verschränkt. „Der fährt ganz von alleine“– das will Daimlers Lkw-Vorstand Wolfgang Bernhard demonstrieren, als er die Steuerung an Frontradar, Stereokamera und Computer-Algorithmen übergibt.

<b>Autopilot</b> LKW fahren und dabei im Internet surfen? Technisch wäre das längst möglich - viele Menschen sind jedoch von autonomen Fahrzeugen (noch) nicht überzeugt. Bild: Daimler

Ein knappes Jahr liegt diese Jungfernfahrt des autonom steuernden Lastwagens nun zurück, und genau in dieser Momentaufnahme zeigt sich das Dilemma: Der Automobilkonzern Daimler verweist darauf, dass ein Großteil der Verkehrsunfälle auf menschliche Fehler zurückzuführen sei. Lagere man das Fahren an die Technik aus, ließen sich diese Unfälle vermeiden. Die entscheidende Frage aber drückt ganz unwillkürlich das angestrengte Lächeln Winfried Kretschmanns aus, und selbst Daimler stellt sie ganz offen: „Will der Mensch, was die Technik kann?“ Das ist eine Frage, die auch die Wissenschaft beschäftigt. Ist der Faktor Mensch bei der Umsetzung von Technologien unberechenbar? Wovon hängt es ab, ob die Menschen eine technologische Veränderung akzeptieren oder nicht? „Sicherlich erscheint es manchmal paradox, wenn Menschen sich gegen eine Technik aussprechen, obwohl vieles für sie spricht“, sagt der Soziologe Matthias Groß, der sich am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) mit Technikforschung, Innovationen und gesellschaftlicher Wahrnehmung befasst. „Meine Aufgabe ist es nicht, zu beurteilen, ob jemand irrational handelt oder ob ein bestimmtes Verhalten besser wäre als ein anderes. Ich forsche daran, Verhaltensweisen und ihre Ursprünge sowie kulturelle Prägungen zu verstehen.“ Ein anderes Beispiel für ein vermeintlich paradoxes Verhalten sind die Glühlampen: Als die EU-Kommission 2009 beschloss, sie schrittweise vom Markt zu nehmen, führte das bei den Deutschen zu Hamsterkäufen ihrer liebgewonnenen Birnen. Obwohl bei ihnen 95 Prozent des Stroms als Wärme verlorengeht, mochten die Kunden bei effizienteren Alternativen wie Energiesparlampen nicht so recht zugreifen.

„Bei Prozessen wie bei der Energiewende, wo es um das Umweltverhalten geht, spielen immer auch sozio-kulturelle Faktoren eine wichtige Rolle“

Es ist eine Entwicklung der vergangenen Jahre, dass Sozialwissenschaftler wie Matthias Groß immer häufiger an technologieorientierten Forschungsprojekten beteiligt sind – Soziologen, Psychologen, Politikwissenschaftler oder Juristen etwa. Besonders durch die Energiewende wurde diese fächerübergreifende Zusammenarbeit relevant: Die geplante Umwälzung des deutschen Energiesystems ist nicht nur technisch komplex. „Bei Prozessen wie der Energiewende, wo es um das Umweltverhalten geht, spielen immer auch sozio-kulturelle Faktoren eine wichtige Rolle“, sagt Groß.

<b>Energie aus der Tiefe</b> Mit Erdwärme kann man Häuser heizen. Im Osten Deutschlands ist die Technik aufgrund ihrer langen Tradition deutlich mehr verbreitet. Bild: vector/AngelaStolle/Fotolia

Er illustriert das mit dem Beispiel von Geothermie-Anlagen in Wohngebäuden, durch die Häuser mit Erdwärme geheizt werden können: Im Osten Deutschlands seien sie zwei- bis dreimal so verbreitet wie im Westen. „In der ehemaligen DDR hatte Erdwärme eine lange Tradition als Heizquelle. Damals ging es darum, unabhängig zu sein von Energieimporten und Technologien aus dem Ausland. Möglicherweise hat diese Vorgeschichte ein positives Bild der Erdwärme geprägt“, sagt Matthias Groß. In Westdeutschland seien es vor allem umweltbewusste und innovationsfreudige Hausbauer, die sich für eine Anlage entscheiden. „In den ostdeutschen Bundesländern besteht hingegen generell ein größeres Interesse daran, selbst an einer Technologie zu basteln – und genau das geht bei einer Geothermie-Anlage im eigenen Haus.“ Solche sozio-kulturellen Hintergründe hätten oft größere Auswirkungen auf die Einstellung zu einem neuen Verfahren als detaillierte technische Informationen – denn die könnten den Einzelnen schnell überfordern. Um also Anreize zu schaffen, innovative Energieformen zu nutzen, müssten solche kulturellen Merkmale bekannt sein.

<b>Umstrittene Energiewende</b> Obwohl die meisten Menschen für die Energiewende sind, wollen sie Windräder und Solaranlagen nicht in ihrer Nähe haben. Bild: Guillermo del Olmo/shutterstock

Das zeigt sich gerade bei der Energiewende. „Prinzipiell sind wir in unserer Gesellschaft für den Ausbau erneuerbarer Energien, weil wir so gegen den Klimawandel handeln können und der ‚Natur‘ etwas Gutes tun“, sagt Matthias Groß. „Wenn das dann aber mit Veränderungen des von uns als ‚Natur’ empfundenen Landschaftsbildes einhergeht, ändert sich unsere Einstellung. Hier gilt es bei den Gründen noch vieles zu erforschen.“

Viele fühlen sich bei diesem Verhalten an das alte Sankt-Florians-Prinzip erinnert: „Heiliger Sankt Florian, verschon‘ mein Haus, zünd‘ and‘re an!“ Neudeutsch heißt das „not in my backyard“, nicht hinter meinem Haus, und die Wissenschaft spricht sogar vom NIMBY-Effekt. Er zeigt sich beispielsweise, wenn sich Bürger in lokalen Vereinen gegen den Bau von Windkrafträdern zusammenschließen. Allein die Europäische Plattform gegen Windkraftanlagen, EPAW, hat in Deutschland 178 Mitglieder: Bürgerinitiativen von Nordfriesland bis zum Allgäu, die sich gegen Windkraftanlagen in ihrer Region aussprechen.

Dass sich in diesem NIMBY-Effekt purer Egoismus äußert, ist jedoch selten. Damit beschäftigt sich Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor am Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam. Der Soziologe und Volkswirt befasst sich mit Technikfolgenabschätzung und war Vorsitzender einer Expertengruppe, die im Auftrag der Akademie der Technikwissenschaften (acatech) politische Empfehlungen zum Thema „Mensch und Technik“ herausgegeben hat. „Teils wenden sich Menschen gegen die Sache selbst, wenn etwa bei hohen Kosten nur ein geringer Nutzen für das Allgemeinwohl besteht“, sagt Renn. „Teils sind es auch emotionale Vorbehalte gegen Landschaftsveränderung oder moralische Bedenken, die greifen.“ In Deutschland seien die Menschen weder technik-euphorisch noch technikfeindlich: Der NIMBY-Effekt trete auch auf, wenn ein Kindergarten in einem Wohngebiet geplant wird. Auch bei der Energiewende sei die große Frage, wie man die Menschen beteiligen könne. „Es geht nicht darum, eine Technik ‚unters Volk zu bringen‘, sondern die Menschen so einzubinden, dass der Gestaltungsprozess für sie stimmig ist“, sagt Ortwin Renn. „Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung drücken in Umfragen ja Zustimmung zur Energiewende aus. Wir müssen also die großen vorgegebenen Ziele und die Wünsche der Einzelnen möglichst in Einklang bringen.“ Die Ergebnisse der Helmholtz-Allianz ENERGY-TRANS zeigen, dass Politik und Wirtschaft die Bevölkerung strukturiert einbinden müssen. Der Forschungsverbund, in dem von 2011 bis 2016 Helmholtz-Zentren und Universitätspartner an der sozialverträglichen Gestaltung künftiger Energieversorgung forschen, stellte auch fest: „Bürgerbeteiligung ist jedoch nicht dazu geeignet, für bereits vorliegende Lösungsvorschläge Akzeptanz zu finden.“ Beteiligung setze voraus, dass verschiedene Alternativen bestünden.

Welche Art der Bürgerbeteiligung am besten geeignet ist, ein Runder Tisch etwa oder eher eine vermittelnde Mediation, hänge von den Gruppen und der Schärfe des Konflikts ab. Es brauche vorab eine ‚sozialwissenschaftliche Diagnose‘, so Renn, also eine Einschätzung durch Fachleute. „Manche Formate sind leider ein reines Placebo, also ein Medikamentenersatz ohne Wirkstoff. In der Medizin mögen sie zwar einen positiven Effekt haben, aber in der Bürgerbeteiligung ist es ein Problem, wenn ich die Menschen zum Dialog bitte und die Ergebnisse nicht weiter nutze.“

Ob die Umsetzung eines Projektes schwierig wird, lasse sich bereits im Vorfeld analysieren, ist sich Ortwin Renn sicher. Gegen Solar-Module auf Dächern beispielsweise gebe es kaum Widerstand – anders sehe es in einigen Regionen bei Solaranlagen auf der freien Fläche aus, abhängig vom Umfeld oder der besonderen Vorgeschichte im Ort. Wie sieht die Parteienlandschaft vor Ort aus, welche alten Konflikte bestehen? Sind viele Neuzugezogene betroffen, die wegen der Idylle dorthin gezogen sind? „Wichtig ist, dass Soziologen, Psychologen und Politologen zusammenarbeiten und die ortsspezifische Lage analysieren“, sagt Renn.

Armin Grunwald kennt solche Unterschiede bei der Akzeptanz. Er ist Professor für Technikphilosophie am KIT und Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. „Es hängt stark davon ab, wie konkret das Thema ist“, hat er beobachtet: Gehe es um eine Schlüsseltechnologie wie etwa die Synthetische Biologie, die im jetzigen Stadium eher abstrakt ist, fühlen sich die Menschen in ihren Interessen nicht betroffen. Anders ist es, wenn die Technologien schon reif für die Nutzung sind, wie etwa bei Stromtrassen oder Windkraftanlagen.

„Wenn wir als Gesellschaft Vorteile einer Technologie wahrnehmen wollen, dann – und nur dann – müssen wir auch die Begleiterscheinungen akzeptieren. Wo die Akzeptanzgrenze verläuft, das ist meist verbunden mit einer persönlichen Risiko- Nutzen-Abwägung. Wir sträuben uns beispielsweise wegen der Strahlung gegen Funkmasten, nutzen aber fast uneingeschränkt Handys, weil ihr Mehrwert einfach zu groß ist“, sagt Armin Grunwald.

Es ist vielmehr der Mensch selbst, der all diese Prozesse anstößt und vorantreibt, als dass er als ‚störender‘ Faktor bei der Umsetzung einer Technologie erscheint

Künstlich herstellen lasse sich Akzeptanz nicht, das ist seine Beobachtung. Sie stelle sich ein, wenn der Staat oder ein Unternehmen Vertrauen genieße. „Man könnte Akzeptanz auch als ‚tolerierte Intransparenz‘ bezeichnen“, schlussfolgert Grunwald: Die Bürger können nicht alle Details einer Technik kennen – aber das ist in Ordnung, solange sie den Eindruck haben, dass bei einem Projekt alles richtig und gerecht zugeht.

Sozialwissenschaftler können mit empirischen Methoden herausfinden, welche Faktoren die Akzeptanz hemmen oder fördern, aus denen sich regelrechte Checklisten für Innovationsprozesse entwickeln lassen: Werden Probleme offen adressiert und Nachfragen ernst genommen? Besteht Kontakt zu allen Betroffenen?

Dass eine ‚soziotechnische Transformation‘, wie Armin Grunwald die Energiewende nennt, auch Verhaltensänderungen erfordere, verstehe sich von selbst. Er verweist auf das Beispiel der Elektroautos: Allein schon wegen der Reichweite können sie nicht einfach herkömmliche Fahrzeuge ersetzen. Auch das Tanken dauert derzeit noch Stunden statt Minuten. Der Mensch muss also seine Gewohnheiten anpassen.

Im Laufe der Zeit ändern sich Mensch- Technik-Verhältnisse, wie dieses Beispiel zeigt. „Wenn es um die Frage geht, wie heute entwickelte Technik in ferner Zukunft angenommen wird, dann können wir nur verschiedene Zukunftsszenarien entwickeln“, sagt Armin Grunwald. Es gebe keine Gesetzmäßigkeiten. Prognosen seien allein deshalb nicht möglich, weil sich Wertehaltungen stark änderten. Grunwald verweist auf die 1980er Jahre: „Was damals nur von sogenannten ‚Ökospinnern‘ vertreten wurde, ist heute Mainstream“ – so wie die Anti-Kernkraft- Bewegung, die heute in die Mitte der Gesellschaft gerückt ist.

Was bedeuten solche unklaren Perspektiven für die heute geplante Technik? „Auf einen starren Zukunftsentwurf hinzuarbeiten, würde dem Streben nach einer Utopie gleichen – mit der Gefahr, dass man alle Mittel heiligt, die dahin führen“, sagt Grunwald. Wichtiger sei stattdessen die Klärung, wie Entscheidungswege und wissenschaftliche Politikberatung organisiert werden, welche Rechte gewährleistet und welche ethischen Fragen berücksichtigt werden sollen.

„Wir sollten sowohl in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft immer bedenken, dass der Mensch nicht erst als ein – im schlimmsten Fall störender – Faktor bei der Umsetzung einer Technologie erscheint. Es ist vielmehr der Mensch selbst, der all diese Prozesse anstößt und vorantreibt.“

So ist es bei der Energiewende, der Frage nach den Glühlampen – und auch bei den selbstlenkenden Fahrzeugen.

Zum Kommentar des Geowissenschaftlers Reinhard Hüttel „Die Menschen müssen mitmachen“

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