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Schülerlabore

Das schwimmende Klassenzimmer

Bild: Joachim Dengg / GEOMAR Kiel

Schülerlabore sollen Lust machen auf Wissenschaft. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist einer der Pioniere auf diesem Feld – ein Bericht aus der Praxis.

Es ist ein windiger Septembertag auf der Nordsee, eigentlich ist alles Routine an Bord des Forschungsschiffs Heincke: Vor Helgoland untersucht das wissenschaftliche Team den Ozean. Schleppnetze und Greifer bringen Organismen vom Meeresboden an Bord. Eins ist diesmal jedoch anders. Die Forscher sind jünger, als es die gestandenen Seeleute der Crew von den Wissenschaftlern sonst kennen – 20 Schülerinnen und Schüler zwischen 16 und 18 Jahren stehen an den Arbeitsplätzen auf hoher See.

„Mit den Schülerlaboren haben wir ein besonderes Instrument, um Kinder und Jugendliche früh für die Wissenschaft und Technik zu begeistern.“

In Regenzeug und Gummistiefeln halten sie sich wacker an Deck, die Aufgaben sind klar verteilt: Sobald die Seeleute die schweren Geräte sicher verzurrt haben, müssen Wasserproben genommen, protokolliert und im Labor analysiert werden. Die jungen Forscher spülen den schlammigen Inhalt des Kastengreifers über großen Sieben aus und untersuchen ihn auf kleine Lebewesen im Sediment.

Das Forschungsschiff "Heincke" des Alfred Wegener-Instituts Vor Helgoland sowie weitere Workshop-Impressionen. Bild: Marc Petrikowski/Alfred-Wegener-Institut

Zwei Tage lang waren die Schüler unterwegs, die Fahrt war Teil des Workshops „mehr meer 2017“. Dahinter standen die Teams von drei Schülerlaboren der Helmholtz-Gemeinschaft: Im Rahmen des Jahres der Wissenschaften „Meere und Ozeane 2016*17“ haben sie interessierte Jugendliche aus ganz Deutschland für zwei Wochen nach Helgoland eingeladen, unterstützt mit Fördermitteln des Bundesforschungsministeriums. Auf der Hochseeinsel konnten sie Meeres- und Küstenforschung nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis kennenlernen. Es gab Vorträge von Fachleuten, Laborexperimente, Feldarbeiten und ein Rahmenprogramm, bei dem sie sich mit Meereswissenschaftlern austauschen konnten. Die Schülerlabore der Helmholtz-Gemeinschaft sollen Kindern und Jugendlichen den Spaß an der Wissenschaft hautnah vermitteln. Dass es sie an den meisten Standorten der Helmholtz-Gemeinschaft gibt, ist in der deutschen Bildungslandschaft etwas Einmaliges: Mittlerweile tragen 29 Labore, verteilt über die ganze Bundesrepublik, auf diese Weise die Forschungsschwerpunkte der Helmholtz-Zentren nach außen. Mehr als 90.000 Schüler forschten und experimentierten hier im vergangenen Jahr. „Mit den Schülerlaboren haben wir ein besonderes Instrument, um Kinder und Jugendliche früh für Wissenschaft und Technik zu begeistern“, sagt Otmar D. Wiestler, der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft. „Junge Menschen sind unsere Zukunft. Deshalb wollen wir zum einen möglichst viele Schüler erreichen. Andererseits bieten wir gerade begabten jungen Menschen eine besondere Fördermöglichkeit.“

„Die Abwechslung zwischen Theorie- und Praxisarbeit und Arbeit im und außerhalb des Labors hat mir gut gefallen.“

Die Jugendlichen des Helgoland-Workshops jedenfalls waren rundum begeistert, wie ihr Blog zeigt: „Die Abwechslung zwischen Theorie- und Praxisarbeit und Arbeit im und außerhalb des Labors hat mir gut gefallen“, hieß es. „Wir konnten in der Gruppe eigenständig arbeiten und haben viele Messmethoden kennengelernt.“ Und: „Ich habe so gut wie alles wirklich selber ausprobieren können.“ Aber auch andere Erfahrungen spielten für die Teilnehmer eine große Rolle: zum Beispiel die Entdeckung, dass es viele coole andere Jugendliche mit denselben Interessen gibt. Und nicht zuletzt: „Ich glaube, mein Englisch muss besser werden. Zwar hab ich alles verstanden, aber am Sprechen hapert’s noch.“

Auch für die Betreuer ist ein solcher Ausflug nicht alltäglich, sagt Joachim Dengg vom GEOMAR Kiel, der Koordinator des Workshops auf Helgoland: „Eine Aktion dieses Umfangs hätte keine unserer Einrichtungen alleine stemmen können, weil uns dazu normalerweise die Möglichkeiten fehlen. Aber wenn mehrere Schülerlabore kooperieren, ist das etwas anderes.“

Für den Workshop auf Helgoland haben sich die meereswissenschaftlichen Bereiche der Schülerlabore zusammengetan und ein gemein- sames Programm erarbeitet.

Bild: Antje Wichels/AWI Helgoland

Das klassische Angebot der Schülerlabore ist vielfältig, sie haben je nach Zentrum unterschiedliche fachliche Schwerpunkte und ergänzen damit das Schulsystem. In den School_Labs des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zum Beispiel lernen die Schüler, wie Wärmebildkameras funk- tionieren oder warum Flugzeuge überhaupt fliegen. Im Berliner Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie können sie Solarenergie und Materialforschung kennenlernen. Das Gläserne Labor am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin richtet sich an Schüler der Grund-, Mittel- und Oberstufe. Hier können sie selbstständig experimentieren – bis zu 20 Experimentierplätze gibt es dazu. Themen wie die DNA-Gewinnung, die Genübertragung oder der genetische Fingerabdruck bleiben dadurch nicht länger abstrakt.

Für den Workshop auf Helgoland haben sich die meereswissenschaftlichen Bereiche der Schülerlabore zusammengetan und ein gemeinsames Programm erarbeitet. „Auch für uns als wissenschaftliche Mitarbeiter ist dieser Austausch eine wirkliche Bereicherung“, sagt Sabine Mendach, die Leiterin des Schülerlabors Quantensprung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. „Während wir den Schülern etwas beibringen, lernen wir gegenseitig voneinander, denn wir alle haben verschiedene Ansätze, Methoden und Fragestellungen.“

So unterschiedlich die Themen der Schüler-labore sind, so verschieden sind oft auch die Vermittlungsweisen: Während in Geesthacht die Schulklassen für einen einzigen Tag vorbeikommen und dafür passende Experimente durchführen, verbringen die Besuchergruppen am Alfred-Wegener-Institut (AWI) Helgoland in der Regel mehrere Tage im Schülerlabor und können dadurch umfangreichere Themen bearbeiten. Die Experten vom GEOMAR in Kiel wiederum entwerfen gemeinsam mit den Fachlehrern ganze Projekte, die unterrichtsbegleitend zum Teil über viele Wochen laufen. Schülerinnen und Schüler des Kooperationsprogramms HIGHSEA am AWI kommen während der letzten drei Jahre ihrer Schulzeit an zwei Tagen pro Woche. In Kooperation mit den Bremerhavener Oberstufenzentren bereiten sich die Teilnehmer hier in den Fächern Biologie, Chemie, Mathematik und Englisch auf ihr Abitur vor.

Die Zusammenarbeit zwischen den Schülerlaboren in der Helmholtz-Gemeinschaft wird auch bei anderen Gelegenheiten gepflegt. Seit mehreren Jahren organisieren sie ein gemeinsames Experimentierzelt bei den jährlich stattfindenden naturwissenschaftlichen Erlebnistagen „Explore Science“ in Mannheim. Auch beim Tag der offenen Tür im Bundesforschungsministerium und anderen Gelegenheiten treten sie mit gemeinsamen Infoständen auf.

„Ziel ist natürlich in erster Linie, Schülerinnen und Schülern die Begeisterung für die Naturwissenschaften zu vermitteln, die an unseren Helmholtz-Zentren von den Forschern ja auch gelebt wird“, sagt Antje Wichels, Leiterin des Schülerlabors OPENSEA am AWI Helgoland. „Doch auch den Lehrkräften wollen wir Themen und Methoden an die Hand geben oder Angebote machen, die es ihnen erlauben, ihren Unterricht mit frischen Ideen aus den Forschungsthemen der Helmholtz-Zentren zu bereichern.“

Dass der Forschungsalltag mitunter auch Überraschungen bereithält, konnten die Jugend- lichen beim Workshop auf Helgoland selbst erleben: „Die Seekrankheit brach aus und raffte mehr als ein Drittel der Jugendforscher hin. Ob alleine in einer Kabine auf der Bank liegend oder solidarisch an Deck sich einen Eimer teilend, vor uns war nichts und niemand mehr sicher“, berichten Meret und Elisa aus Baden-Württemberg im Blog des Workshops in aller Offenheit. Inwieweit solche Erfahrungen eine Entscheidung für oder gegen ein Studium der Meereswissenschaften beeinflussen, bleibt ungewiss. Aber selbst wenn die Jugendlichen sich für eine andere Karriere entscheiden: Das Erleben von Forschung bleibt, und auch das Verständnis dafür, wie Wissenschaft funktioniert – das bekommen die Initiatoren von „ihren“ Schülern immer wieder zu hören.

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