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Standpunkte

Am Puls der Zeit?

Illustration: Jindrich Novotny

Für die einen sind sie wichtige Helfer im Alltag, für die anderen unheilvolle Werkzeuge der Überwachung. Sie sind in Armbänder und Brillen integriert oder als Apps auf unsere Smartphones geladen; sie messen, speichern, verorten unsere persönlichsten Daten. Wearables, tragbare Minicomputer, erobern immer neue Bereiche unseres täglichen Lebens. Zu unser aller Nutzen? Zwei Blickwinkel

„Die Auswertung der gesammelten Daten kann zu einem gesundheitsbewussteren Verhalten beitragen“, sagt Andreas Oberweis, Vorstand des FZI Forschungszentrum Informatik und Vizepräsident der Gesellschaft für Informatik e.V.
Sie sind klein, aber oho: Wearables – oder genauer Wearable Computers – sind miniaturisierte Computer, die wir am Körper tragen. Sie sind in ein Armband oder eine Uhr integriert, an der Brille befestigt, in die Kleidung eingenäht, in Schuhen eingebaut oder in einem Ohrring versteckt. Und dort kombinieren sie zahlreiche Funktionen, zum Beispiel Zeitmessung, Fotografieren, Audio- und Videoaufnahmen, Zugriff auf E-Mail und Social Media, Telefonieren oder Navigation. Sie ermöglichen über Sensoren die Messung von Körperfunktionen, etwa mit einem Schrittzähler, einem Pulsmesser oder einem Temperaturfühler.

So klein sie sind, so vielfältig ist ihr Nutzen. Die Auswertung der gesammelten Daten kann beim Träger des Geräts zu einem gesundheitsbewussteren Verhalten (etwa durch Berechnung des Kalorienbedarfs) beitragen oder ihn spielerisch zu sportlichen Aktivitäten anregen. Wearables können genutzt werden als komfortable Auto- oder Haustürschlüssel, als digitale Fahrkarten oder zum bargeldlosen Bezahlen. Daneben speichern sie auch persönliche Daten, etwa zur Gesundheit, damit diese bei Bedarf für Ärzte schnell verfügbar sind. Im besten Fall werden sie so zu Lebensrettern. Da sie häufig g als praktisches Mode-Accessoire und weniger als technisches Gerät wahrgenommen werden, ist die Akzeptanzschwelle bei vielen Menschen niedrig. Auch Anwendungen in Unternehmen sind denkbar, etwa zur Steuerung des Zugriffs s auf Software oder Maschinen.

Andreas Oberweis ist Vorstandsmitglied des FZI Forschungszentrum Informatik und Vizepräsident der Gesellschaft für Informatik e.V.. Illustration: Jindrich Novotny

Durch die Bereitstellung spezieller Betriebssysteme für Wearables eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für Programmierer, die Apps für Wearables entwickeln und verkaufen können. Mittlerweile haben sich bereits eigene Online-Marktplätze für solche Apps gebildet. Die Analyse von Daten, die mit Wearables gesammelt werden, kann zur Steuerung von Besucherströmen bei Großveranstaltungen oder auch zur Planung von Rettungsmaßnahmen in Katastrophenfällen genutzt werden.

Der sichere Umgang mit teilweise sensiblen Daten, die über Wearables gesammelt werden, ist sicherlich eine Herausforderung nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die entsprechende Bewusstseinsbildung bei Anwendern. Aus ökonomischer Sicht jedoch haben die kleinen Alleskönner ein riesiges Marktpotenzial, sie werden in der einen oder anderen Erscheinungsform allgegenwärtiger, unverzichtbarer Bestandteil unseres künftigen Lebens sein.

„Die Biosignale zeigen auch, wie wertvoll ein Mitarbeiter ist und wie weit sein Einsatz für die Firma geht“, sagt Jörn Müller-Quade, Professor für Kryptographie und Sicherheit am Karlsruher Institut für Technologie und Sprecher des nationalen Kompetenzzentrums für Cybersecurity „KASTEL“
Das hatte sich nicht einmal George Orwell ausgedacht: Menschen tragen Armbänder, die alle Funktionen eines Lügendetektors haben. Nicht nur Kommunikation, Bilder und Videodaten sind massenhaft auswertbar, sondern zukünftig auch unsere Gefühle, unser Gesundheitszustand und unsere Leistungsfähigkeit.

Häufig wird eingewendet, dass die eigenen Daten uninteressant seien. Doch wer so etwas behauptet, dem fehlt nur die Fantasie, wie durchschaubar wir durch diese Sensordaten werden und welchen Nutzen und Wert sie haben können, wenn sie gegen uns verwendet werden.

Jörn Müller-Quade ist Professor für Kryptographie und Sicherheit am Karlsruher Institut für Technologie und Sprecher des nationalen Kompetenzzentrums für Cybersecurity „KASTEL“. Illustration: Jindrich Novotny

Nicht nur für Versicherungen sind Gesundheitsdaten interessant. Biosignale zeigen auch, wie wertvoll ein Mitarbeiter ist, seine Konzentrationsspanne, Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit – und wie weit sein Einsatz für die Firma geht. Die Stimmung eines Verhandlungsgegners zu kennen gibt einem Vorteile; ebenso wie Stimmungswechsel im Vorstand einer Firma, bei der Belegschaft oder bei ganzen Branchen wertvolle Informationen für Konkurrenten sind. Durch die Korrelation der Sensordaten über Herzfrequenz, Blutdruck oder Zittern mit dem, was eine Person sieht und hört, ergeben sich Persönlichkeitsprofi le, die tiefer blicken können als engste Freunde. Solange das Auswerten der gesammelten Daten Basis des Geschäftsmodells mächtiger Konzerne ist und diese dadurch in der Lage sind, unser Verbraucherverhalten zu lenken oder Staaten diese Daten ausspionieren, um unsere Politiker in Verhandlungen zu übervorteilen, sehe ich eine große Bedrohung in der unkritischen Verwendung von Wearables.

Dies steht sicherlich im Konflikt zu den Vorzügen, die Wearables haben. Sie erleichtern beispielsweise ein gesünderes Leben und erlauben ein frühes Erkennen von gesundheitlichen Problemen. Gekoppelt mit einer Notruffunktion können sie sogar Leben retten. Doch Datenschutz und Informationsfreiheit stehen unweigerlich in einem Konflikt zum Nutzen dieses massenhaften Auswertens von Daten.

Diesen Widerspruch zu lösen, halte ich für eine der großen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Hierzu benötigen wir bessere Cybersecurity, neuartige, den Datenschutz respektierende Analyseverfahren und gesetzliche Grenzen für die Nutzung von Daten. Dafür brauchen wir aber auch neue Geschäftsmodelle. Die staatsbürgerliche Freiheit, die schwer erkämpft wurde, sollte nicht leichtfertig aufgegeben werden.

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