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Portrait

Der Epidemie-Experte

Bild: HZI /Krüger

Es ist nicht zuletzt internationalen Epidemiologen zu verdanken, dass der Ebola-Ausbruch in Westafrika 2014 eingedämmt werden konnte. Auch Gérard Krause hatte daran seinen Anteil – und die Idee, Mobiltelefone zur Seuchenbekämpfung einzusetzen. Das zahlt sich nun bei der Bewältigung der Corona-Pandemie aus.

Der Anruf aus Nigeria kam im Herbst 2014. „Am Apparat war eine ehemalige Kollegin“, erinnert sich Gérard Krause, der zu dieser Stunde an seinem Schreibtisch im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) saß. Die deutsche Wissenschaftlerin leitete damals ein Ausbildungsprogramm in Nigeria und war mitten in die Ebola-Krise geraten. Es wurde ein langes Gespräch. Am Ende war eine Idee geboren, die den Braunschweiger Wissenschaftler bis heute beschäftigt – und die in der Corona-Pandemie noch wertvoller geworden ist.

Die Ebola-Epidemie war seinerzeit auf ihrem Höhepunkt. Krauses frühere Kollegin Gaby Poggensee half im Emergency Operations Center Nigerias mit, die Epidemie einzudämmen. Sie war erleichtert, dass der Ausbruch in Nigeria unter Kontrolle zu sein schien. Andererseits wusste sie, dass es leicht zu einem erneuten Aufflammen kommen konnte, etwa durch den Import neuer Fälle über die Landesgrenzen.

Um die Seuche kontrollieren zu können, entwickelten die Wissenschaftler gemeinsam ein effektives System, das nicht nur neue Fälle aus ländlichen Regionen in die Hauptstadt leiten, sondern die vielfältigen Maßnahmen der Ausbruchsbekämpfung effizient aufeinander abstimmen konnte. Dieses System erhielt den Namen SORMAS (Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System). Es nutzt Mobiltelefone, um Informationen über Infizierte und deren Kontaktpersonen schnell und umfassend an die zuständigen Stellen weiterzuleiten. Genau das funktionierte vorher kaum. „Damit war oft auch die größte Chance zur Unterbrechung eines Ausbruchs vertan“, sagt Gérard Krause. „Diese Chance besteht in der frühzeitigen Diagnose und Isolation der Erkrankten, aber auch in der sofortigen Erfassung und Betreuung aller Menschen, die engen Kontakt mit einem Patienten hatten.“

Es ist nicht zuletzt der Idee des Epidemiologen zu verdanken, dass der Ebola-Ausbruch in Westafrika eingedämmt werden konnte. Und auch heute, bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie, spielt SORMAS eine große Rolle. Gérard Krause und sein Team haben das Programm um ein COVID-19-Modul erweitert und stellen SORMAS allen interessierten deutschen Gesundheitsämtern zur Verfügung. Schon mehr als 40 Ämter nutzen das System – und werden damit effizient bei der Identifizierung und Überwachung von Kontaktpersonen unterstützt. „Die Gesundheitsämter in die Lage zu versetzen, möglichst viele Kontaktpersonen von Erkrankten zu identifizieren und diese sachgerecht zu betreuen, ist entscheidend. Wenn es gelingt, die Erfassung und enge Betreuung von Kontaktpersonen massiv zu verbessern, kann man vereinzelt neu auftretende kleinere Ausbrüche sofort eindämmen“, erklärt der Epidemiologe den Mehrwert des Systems.

Schon während seines Medizinstudiums interessierte sich Gérard Krause für die gesellschaftliche Seite des Fachs. Er verbrachte mehrere Forschungs- und Studienaufenthalte in Ländern wie Ecuador, Kolumbien, Burkina Faso und Niger. „Dabei wurde mir klar, dass die Epidemiologie das ist, was ich lange gesucht hatte – die für mich ideale Verbindung von Medizin und Sozialwissenschaften.“

Seit 2011 leitet der Wissenschaftler die von ihm neu aufgebaute Abteilung Epidemiologie am HZI – inzwischen forschen über 50 Wissenschaftler in seinem Team. Zeitgleich trat Krause eine Professur für Infektionsepidemiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover an. Zwei Jahre später gründete er das bundesweit erste PhD-Programm „Epidemiologie“, das inzwischen Doktoranden aus aller Welt anzieht.

„Mithilfe der Epidemiologie untersuchen wir die Wirkung von Krankheitserregern auf die gesamte Bevölkerung“, erläutert der Wissenschaftler. Es gehe dabei auch darum, Infektionsausbrüche frühzeitig zu erkennen und Maßnahmen zu entwickeln, um Menschen davor zu schützen. „Außerdem überprüfen wir kontinuierlich, wie wirksam diese Maßnahmen sind.“

Ende der 1990er-Jahre war Gérard Krause als junger Wissenschaftler für zwei Jahre als Epidemic Intelligence Service Officer an den renommierten Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta tätig. „Diese Zeit prägt mich bis heute“, sagt der Forscher. Zurück in Deutschland ging er an das Robert-Koch-Institut in Berlin, wo er im Jahr 2005 Leiter der Abteilung Infektionsepidemiologie wurde. Als Bundesoberbehörde, die dem Gesundheitsministerium unterstellt ist, steht das Institut zuweilen unter erheblichem Druck. Etwa während der aktuellen Corona-Pandemie, aber auch im Jahr 2011, als in Deutschland die Angst vor einer Epidemie mit dem Darmkeim EHEC umging. Krauses Team gelang es damals, den Verzehr von Sprossen als Infektionsursache zu identifizieren. Der Ausbruch kam zum Erliegen.

In Braunschweig widmet sich der Epidemiologe der eigentlichen Forschung – das hatte er in der Berliner Zeit vermisst. So hat er für SORMAS ein Verfahren erfunden, dass die Synchronisierung weit verteilter Datenbanken auch dann sicherstellt, wenn es keine Internetverbindung gibt – eine Funktion, die in Regionen mit beschränkter Infrastruktur besonders wichtig ist. Die Ereignisse der letzten Monate haben seine Arbeit jetzt gehörig durcheinandergewirbelt. Die Erforschung und Bewältigung der Corona-Pandemie bestimmen momentan seinen Alltag – und machen ihn zu einem gefragten Experten in Medien und Politik. Kompetent erklärt er, wie er die Lage einschätzt und welche Maßnahmen ihm prioritär sind, wie Antikörperstudien dabei helfen können, die Immunität in der Bevölkerung zu bestimmen – und wie digitale Tools dazu beitragen, die Infektionsausbreitung zu überwachen und Kontaktpersonen schnell aufzuspüren. Hier schließt sich der Kreis zu seinem Herzensprojekt SORMAS, das einen wertvollen Beitrag schon zu Beginn einer Epidemie leisten kann, wie Krause erklärt: „Das System läuft kontinuierlich – nicht erst, wenn es zu Krisen kommt. Schließlich soll es ja Epidemien aufdecken und zugleich effizient eindämmen.“

Was ist SORMAS?

Das Surveillance and Outbreak Response and Analysis System – kurz SORMAS – ist ein IT-System, dass die Arbeitsprozesse bei der Erfassung und Betreuung von Erkrankten und Kontaktpersonen steuert, dokumentiert analysiert und kommuniziert. SORMAS vernetzt alle relevanten Akteure – etwa in Kliniken, Laboren und Behörden –, die an der Seuchenüberwachung beteiligt sind. Dass das System funktioniert, hat sich schon bei der Bekämpfung mehrerer gleichzeitiger Ausbrüche von Lassa-Fieber, Meningokokken und Affenpocken in Westafrika gezeigt. Inzwischen ist SORMAS in über 700 Gesundheitsämtern von sechs Ländern in drei Kontinenten im Einsatz und deckt eine Bevölkerung von über 200 Millionen Einwohner ab.

Noch bevor die Weltgesundheitsorganisation die Situation in Wuhan als gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite eingestuft hatte, hatte SORMAS bereits ein COVID-19-Modul aktiviert. Eine neue Erweiterung erlaubt es, die Symptomüberwachung von Personen in Quarantäne über deren Eingaben in die eigenen Mobiltelefone direkt mit dem SORMAS-System des Gesundheitsamtes zu synchronisieren.

Website SORMAS

Website SORMAS-ÖGD

Video: Gérard Krause erklärt SORMAS in 60 Sekunden

Update vom 23.09.2020: Dieses Portrait stammt aus dem Jahr 2015. Wir haben es leicht aktualisiert und Bezüge zur aktuellen Corona-Pandemie ergänzt. Als Leiter der Abteilung für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) koordiniert Gérard Krause die Forschungsaktivitäten des HZI zur Eindämmung der Krise.

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