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Fokus@Helmholtz

Krebsmedizin heute und morgen

Bild: Henriette Fritzsche

Die Therapie von Krebserkrankungen wird immer individueller. Bei einer öffentlichen Veranstaltung in Berlin diskutierten Krebsforscher über maßgeschneiderte Behandlungskonzepte und darüber, warum noch nicht alle Patienten davon profitieren.

Die Hörsaalruine der Charité in Berlin Mitte ist ein guter Ort, um sich die Fortschritte der Medizin in den letzten 150 Jahren bewusst zu machen. Das Ende des 2. Weltkriegs durch Fliegerbomben zerstörte und in den 1990er Jahren liebevoll restaurierte Gebäude ist direkt verbunden mit dem Berliner Medizinischen Museum. Dort wird eindrucksvoll gezeigt, wie im 19. Jahrhundert Infektionen behandelt oder Amputationen durchgeführt wurden. Viele Besucher der Veranstaltung Fokus@Helmholtz nutzten die Gelegenheit zu einem kurzen Gang durch das Gruselkabinett, bevor sie mit renommierten Krebsmedizinern über die Krebsmedizin heute und morgen diskutierten.

"In der Krebsforschung gab es in den letzten Jahren spektakuläre Fortschritte", resümierte Otmar D. Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft und ehemaliger Leiter des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zu Beginn der Veranstaltung in einem Einführungsvortrag. Grund für die Erfolge sei vor allem das bessere Verständnis von Tumoren auf genetischer, zellbiologischer und immunologischer Ebene. Daraus seien neue Therapieansätze entstanden, wie etwa die Immuntherapie. Für die Zukunft erwartet Wiestler eine immer individuellere Krebsbehandlung, die das Immunsystem des Patienten miteinbezieht. Auch die Prävention werde künftig eine größere Rolle spielen.

V.l.n.r.: Prof. Dr. Dirk Jäger, Dr. Stefan Frings, Prof. Dr. Angelika Eggers und Moderatorin Sanaz Saleh-Ebrahimi. Bild: Henriette Fritzsche

Diese Einschätzung teilten die drei Teilnehmenden der anschließenden Diskussionsrunde auf dem Podium. Dirk Jäger, Geschäftsführender Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg, erwartet weitere Fortschritte durch intelligente Kombinationstherapien, die verschiedene Methoden einbeziehen und auf den Patienten maßgeschneidert sind. "Wir werden in Zukunft nicht mehr nur über die Zuordnung zu einer Tumorentität sprechen, sondern über das Verständnis der individuellen Erkrankung des Patienten." Dazu sei eine wesentlich tiefere Diagnose notwendig - auch auf molekularer Ebene. Zudem sei die Reaktion des Organismus auf den Tumor wichtig. "Wie reagiert der Host, also der Organismus des Patienten, auf seine Erkrankung? Wie geht das Immunsystem damit um? Wir werden dann hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft basierend auf diesen Daten für diese Patienten eine individuelle Therapiekombination zusammensetzen können."

Auch Angelika Eggert, Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité Berlin betonte, wie sehr die Krebsforschung in den letzten Jahren in Bewegung gekommen sei. "Zu den traditionellen Behandlungsmethoden Chemotherapie, Chirurgie und Bestrahlung sind jetzt zwei riesige Felder hinzugekommen, in denen wir zum Teil begeisternde Resultate sehen." Dies seien zum einen die molekular gezielte Therapie, die eine sehr differenzierte molekulare Diagnostik brauche, um den Tumor in seinen Eigenschaften genau beschreiben zu können, um dann maßgeschneidert das richtige Medikament zu verabreichen. Das andere Feld sei die Immuntherapie. "Hier tut sich international und auch in Deutschland eine ganze Menge."

Das Immunsystem erkennt im Normalfall entartete Zellen und eliminiert sie. Wenn Krebs entsteht, ist es den Krebszellen gelungen, diese Immunantwort zu umgehen. Bei der Immuntherapie versuchen die Forscher Immunzellen dazu zu bringen, Krebszellen gezielt zu attackieren. So können beispielsweise Immunzellen dem Patienten entnommen und außerhalb des Körpers gentechnisch verändert werden. "Man kann sich das so vorstellen, dass man 'normale' Immunzellen des Patienten gentechnisch 'scharf macht' und dann wieder zurück gibt, damit diese 'Immunzellen den Tumor gezielt angreifen können. Man macht sie scharf, indem man ihnen zeigt, was das Angriffsziel ist." Auch hier handele es sich um molekulare Methoden, nur in diesem Fall auf der Ebene des Immunsystems. "Auf beiden Ebenen entwickelt sich so viel in den letzten Jahren, dass es wirklich Spaß macht dabei zu sein und zu sehen, wie man diese neuen Methoden nutzen kann und sie zum Wohle unserer Patienten einsetzten kann.", sagte Eggers.

Bild: Henriette Fritzsche

Die Bedeutung der genauen molekularen Diagnostik von Tumoren unterstrich auch Stefan Frings, Medizinischer Direktor der Roche Pharma AG. "Neben der Medikamentenentwicklung wird die diagnostische Entwicklung in Zukunft zunehmend weiter an Bedeutung gewinnen." Immer mehr werde das molekularbiologische Profil der Tumore, die Mechanismen, mit denen die Tumore versuchen, den Behandlungen oder Medikamenten auszuweichen, aber auch die Beschaffenheit der Immunzellen und die Host-Bedingungen der Patienten, untersucht. "Die bessere Diagnostik wird in Zukunft eine wichtige Errungenschaft sein."

Diese immer genauere Diagnostik bringt schon bei einem Patienten enorme Datenmengen mit sich, die analysiert und interpretiert werden müssen. Wichtig sei es deshalb, mit einer kleineren Anzahl von Patienten mehr in die diagnostische Tiefe zu gehen, als wie bisher das klinische Outcome einer möglichst hohen Zahl von Patienten abzusichern, betonte Dirk Jäger. Ein Aufwand, der sich lohnt: "Wir wissen aber, wie hochkomplex die Interaktion des Immunsystems bei einer Tumorerkrankung ist. Und wenn wir bei jedem einzelnen Patienten diese hochkomplexe Situation besser verstehen und versuchen, die Erkennung durch das Immunsystem möglichst optimal zu gestalten, haben wir meiner Meinung nach durch intelligente Kombination der Therapiemöglichkeiten sehr gute Heilungschancen."

Im klinischen Alltag kommen diese neuen Ansätze allerdings noch nicht bei allen Patienten zum Einsatz. "Man muss auch sehen, in welchem Stadium der Erkrankung wir uns befinden", sagte Angelika Eggert. "Und ob es sich um eine Ersterkrankung oder Rückfallerkrankung handelt. Mit den etablierten Methoden haben wir in meinem Fachgebiet, der Kinderonkologie, Heilungsraten von aktuell 80 Prozent. An diesen 80 Prozent muss sich jede neue Therapie natürlich messen. Wir greifen also zunächst auf die bekannten Therapien zurück und wenden erst, wenn diese nicht zum Erfolg führen, die neuen, experimentelleren Methoden an."

Interviews mit den Referenten sowie weitere Informationen zum Thema Krebs finden Sie auf unserer Themenseite

Fokus@Helmholtz

Die Veranstaltungsreihe Fokus@Helmholtz bringt regelmäßig Forschung, Politik und Gesellschaft zusammen, um miteinander über strittige Zukunftsfragen zu diskutieren. Die Helmholtz-Gemeinschaft möchte dabei gemeinsam mit ihren Gästen den Blick über den Tellerrand wagen, Handlungsoptionen hinterfragen und Denkanstöße liefern. Sie sind herzlich willkommen mit uns zu diskutieren.

Der Eintritt ist frei. Um Anmeldung wird gebeten. Sie möchten regelmäßig über die nächsten FOKUS-Veranstaltung informiert werden? Schreiben Sie uns eine kurze E-Mail an event(at)helmholtz.de und wir nehmen Sie in unseren Verteiler auf.

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