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Alzheimer

„Das ist wie im Eisenbahnverkehr“

Gut vernetzt: Im gesunden Gehirn halten viele Fortsätze Kontakt zwischen den Nervenzellen. Bild: fotolia.com

Bei Alzheimer-Patienten kann ein eigentlich nützliches Protein Schaden anrichten, das haben die Neurowissenschaftler Eva-Maria und Eckhard Mandelkow herausgefunden. Ein Gespräch über Versorgungsbahnen, Nervenzellen – und neue Ansatzpunkte für die Alzheimer-Therapie

Sie erforschen ein Protein namens Tau. Wie hängt das mit Alzheimer zusammen?

Eckhard Mandelkow (EM): Das Protein Tau spielt bei verschiedenen Erkrankungen der Nervenzellen eine Rolle, darunter auch bei Alzheimer. Es stabilisiert die Versorgungsbahnen der Zellen, die so genannten Mikrotubuli. An ihnen transportieren die Zellen wichtige Stoffe oder ganze Zellbestandteile dorthin, wo sie gebraucht werden. Für die Zellen ist es also lebenswichtig, dass die Mikrotubuli gesund sind.

Und bei Alzheimer sind sie es nicht?

Eva-Maria Mandelkow (EMM): Richtig, bei Alzheimer geht die Zahl der Mikrotubuli zurück und es findet weniger Transport statt. So kommt es zum Beispiel zu einem Energiemangel in den Nervenzellen und viele von ihnen sterben ab. Die eigentlichen Auslöser davon kennt man aber nur teilweise. Wir wissen auf jeden Fall, dass sich in Alzheimer-Gehirnen zwei bestimmte Proteine als Klumpen ablagern, das Tau innerhalb der Nervenzellen, und das A? (Amyloid-beta) außerhalb der Zellen. Beides trägt zum Tod der Nervenzellen bei.

EM: Es gibt aber noch mehr Faktoren, die bei Alzheimer eine Rolle spielen. Bei unseren Untersuchungen von Tau sind wir auf ein Protein gestoßen, das bislang als Auslöser einer ganz anderen Krankheit bekannt ist, der spastischen Paraplegie. Das Protein heißt Spastin. Wenn es mutiert ist, schädigt es Nervenzellen im Rückenmark, was dann zur Lähmung der Beine führt. Hans Zempel, ein Doktorand in unserem Labor, hat kürzlich entdeckt, dass Spastin auch mit Alzheimer zusammenhängt. Allerdings ist der Mechanismus ein ganz anderer: Hier verursacht nämlich das gesunde Spastin die Schäden, wenn es falsch reguliert wird. Es zerschneidet die Versorgungsbahnen in den Teilen der Nervenzellen, die Signale empfangen - und das ausgerechnet in der Hirnregion, die für das Gedächtnis zuständig ist.

Aber warum richtet gesundes Spastin überhaupt Schaden an?

EM: In gesunden Zellen kann man diese Zusammenhänge mit dem Eisenbahnverkehr vergleichen: Wie schnell ein Zug fahren kann, liegt nicht nur an der Lokomotive, sondern auch am Gleis. Das merken wir immer wieder, wenn wir mit dem ICE die Strecke zwischen Bonn und Hamburg fahren. Eigentlich könnte der ICE viel schneller fahren, aber das würden die Gleise nicht aushalten. In der Zelle ist es ganz ähnlich. Dabei sind die Mikrotubuli die Gleise, auf denen der Transport abläuft. Und normalerweise erfüllt das Spastin eine wichtige Funktion für den Transport: Es baut alte Gleise ab und ermöglicht so den Bau neuer Gleise.

EMM: In diesem Bild wären Tau-Proteine dann die Schwellen, die die neuen Gleise stützen.

EM: Spastin und Tau sorgen - zusammen mit anderen Proteinen - dafür, dass das Transportnetz in gutem Zustand bleibt. Wenn Tau aber die Mikrotubuli nicht schützen kann und Spastin auch noch überaktiv ist, wie wir es in den Signalempfängern der Nervenzellen gefunden haben, geht das Transportnetz kaputt und die Zellen sterben.

Wie sind Sie ausgerechnet auf Spastin gekommen?

EMM: Als wir Nervenzellen mit A? behandelt haben, hat sich Tau auf einmal in den Signalempfängern angesammelt, obwohl es dort sonst nicht vorkommt. Eigentlich müsste es ja die Versorgungsbahnen stabilisieren, aber innerhalb einer Stunde waren 80 Prozent von ihnen verschwunden. In Anwesenheit von A? sind also diese Bahnen nicht geschützt. Dann hat Hans Zempel verschiedene Faktoren untersucht, die Mikrotubuli kaputt machen können, darunter auch Spastin. Er hat es versuchsweise einfach ausgeschaltet.

Und was ist dann passiert?

EMM: Nichts. Ohne Spastin blieben die Mikrotubuli erhalten, auch wenn A? auf die Zellen gegeben wurde. Damit haben wir einen bisher unbekannten Zusammenhang zwischen Tau und A? gefunden: Das A? führt dazu, dass die Mikrotubuli nicht mehr stabil sind. Die ungeschützten Mikrotubuli werden dann von Spastin zerschnitten.

Kann man denn etwas gegen diese Selbstzerstörung tun?

EMM: Eine Idee für eine Therapie wäre es, in die Regulation von Spastin einzugreifen, um so die Mikrotubuli besser zu stabilisieren. Man muss aber genau aufpassen, wo im Körper man das tut. Es gibt inzwischen verschiedene Ansätze für mögliche Alzheimer-Therapien, die weltweit und auch hier am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen verfolgt werden. Beispiele sind Impfungen gegen A? oder Tau, um die schädlichen Proteinklumpen zu neutralisieren. Wir konzentrieren uns auf Wirkstoffe, die die Verklumpung von Tau hemmen können. Dazu haben wir 200.000 Substanzen überprüft und einige gefunden, die im Prinzip funktionieren. Aber leider können viele Substanzen wegen der Blut-Hirn-Schranke nicht ins Gehirn eindringen, wo sich ja die Tau-Klumpen ansammeln. Hier gibt es noch einiges zu tun, um diese Hürde zu überwinden.

EM: Andere Ansätze haben das Ziel, die Proteinklumpen mit Antikörpern wegzufangen oder in die Regulation der Mikrotubuli einzugreifen. Wieder andere nutzen körpereigene Botenstoffe als Grundlage.

Glauben Sie daran, dass irgendwann DAS Alzheimer-Medikament gefunden wird?

EMM: In dem Punkt sind wir unterschiedlicher Meinung. Ich bin sehr optimistisch, mein Mann ist vorsichtiger.

EM: Das große Problem bei Alzheimer ist, dass die Krankheit schon sehr weit fortgeschritten ist, wenn sie sich bemerkbar macht. Es gibt zwar schon Medikamente, die Alzheimer aufhalten können...

EMM: Für ein bis zwei Jahre.

EM: Richtig, die verlangsamen die Krankheit aber eben nur. In Tiermodellen ist es schon gelungen, die Krankheit zu heilen. Dies muss jetzt auf den Menschen umgemünzt werden, und das ist nicht so einfach. Man darf sich nicht davon entmutigen lassen, dass die Entwicklung so lange dauert. Zum Beispiel wurde die Möglichkeit der Impfung erst vor gut 15 Jahren entdeckt, heute finden Großversuche in dieser Richtung statt. Zurzeit wird eine ganze Reihe von Verfahren gegen Alzheimer getestet, unter anderem auch die Bekämpfung von Entzündungsreaktionen im Gehirn. Eine wichtige Entwicklung ist auch, dass man heute Ansammlungen von Tau oder A? durch Abbildungen des Gehirns entdecken kann. Die Kombination von Früherkennung und Austesten neuer Verfahren wird sicher zu Erfolgen führen, aber nicht über Nacht.

Die Ehepartner Eva-Maria und Eckhard Mandelkow erforschen seit über 20 Jahren gemeinsam die Grundlagen von Nervenerkrankungen, die mit dem Protein Tau und den Mikrotubuli zusammenhängen. Sie leiten eine Arbeitsgruppe am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), einem Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, und am Forschungszentrum caesar, einem Institut der Max-Planck-Gesellschaft.

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