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Klimawandel

Wie stark steigt der Meeresspiegel?

Foto: Klaus Heinrich Vanselow, Copyright: Uni Kiel / FTZ Westküste

Steigt der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um 30, 60, 90 Zentimeter oder gar um mehr als einen Meter? Klimamodelle und Datenstudien versuchen vorherzusagen, was die Menschheit erwartet. Dabei ist diese jedoch selbst der größte Unsicherheitsfaktor in den Prognosen.

Dass sich der Klimawandel auf die Höhe des Meeresspiegels auswirkt, ist unbestritten. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist er im Schnitt um 20 Zentimeter angestiegen. Das hat zwei Ursachen: Einerseits lassen die höheren Durchschnittstemperaturen jene Eismassen schneller schmelzen, die als mächtige Schilde Grönland und die Antarktis oder als Gletscher die Hochgebirge der Erde bedecken. Mit ihrem Wasser speisen sie die Ozeane. Andererseits vergrößert sich das Volumen des Wassers mit jedem Grad, um das es sich erwärmt. Doch wie weit steigt das Wasser in den kommenden Dekaden? Antworten darauf versuchen Wissenschaftler mit Modellen zu berechnen und seit Kurzem auch aus tatsächlichen Messdaten zu extrapolieren.

Größter Unsicherheitsfaktor: die Menschheit

Im Grunde versuchen Klimamodelle, die Prozesse in der Natur mit all ihren Wechselwirkungen in mathematische Formeln zu pressen. Ein schneller Computer errechnet dann nicht nur die Höhe des Meeresspiegels, sondern auch Temperatur oder Strömungen. Für einen Blick in die Zukunft müssen die Wissenschaftler nun lediglich die Zusammensetzung der Atmosphäre variieren, genauer gesagt, die Konzentration an Treibhausgasen bis zum gewünschten Zeitpunkt. Der Weltklimarat, im offiziellen Sprachgebrauch als Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) bezeichnet, sagt bis zum Ende des Jahrhunderts einen Anstieg zwischen 26 und 98 Zentimeter voraus. Für andere Klimaforscher sind diese Zahlen noch zu niedrig. Selbst Werte bis zwei Meter stehen heute schon im Raum.

Erdbeobachtungssatelliten messen die Höhe des Meeresspiegels. Bild: NASA/JPL-Caltech/Ocean Surface Topography Science Team

Die große Bandbreite des vorhergesagten Meeresspiegelanstiegs liegt einerseits an den Modellen selbst. Denn keines von ihnen bildet die Realität hundertprozentig genau ab. Alle sind mit gewissen Unsicherheiten behaftet. "Als Außenstehender könnte man natürlich glauben, die Modelle würden so stark streuen, weil sie so schlecht seien", erklärt Mojib Latif, Professor für Klimadynamik und Leiter der Forschungseinheit Maritime Meteorologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. "Die größte Unsicherheit kommt aber einfach dadurch zu Stande, dass wir nicht wissen, wie sich die Menschheit in Zukunft verhalten wird. Steigt der CO2-Ausstoß immer schneller – wonach es im Moment ja aussieht – liefern die Modelle viel höhere Werte, als bei massivem Klimaschutz in der Zukunft."

Verhindern, meint Latif, ließe sich ein weiterer Anstieg selbst mit größten Anstrengungen nicht. Doch könnte er vielleicht auf 40 oder 50 Zentimeter bis 2100 begrenzt werden. Ohne Klimaschutz hingegen, sieht er die Extremwerte von einem Meter und mehr als Konsequenz. Das stellt dann nicht nur die Existenz von Inselstaaten wie den Malediven in Frage. Studien der OECD gehen davon aus, dass ein Meter mehr an Meeresspiegel 180 Millionen Menschen zur Flucht ins Landesinnere zwingen und die Werte von über einer Billion Dollar zerstört würden - wirtschaftliche Folgen und die Schäden durch Sturm und Flutereignisse seien da bei noch nicht mit eingerechnet.

Satellitendaten bestätigen Modellrechnungen

Nicht Modelle, sondern Messwerte waren der Ausgangspunkt einer Studie, mit der eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler um Steve Nerem von der University of Colorado kürzlich für Schlagzeilen sorgte. Dabei griffen sie auf hochgenaue Messungen des Meeresspiegels zurück, die Erdbeobachtungssatelliten wie TOPEX/Poseidon, Jason 1, Jason 2 und Jason 3 seit 25 Jahren sammeln, und ergänzten diese um die Daten von Gezeitenstationen rund um den Globus. Klimaexperte Latif kennt die Studie gut und erklärt die Herangehensweise der Kollegen: "Ein Datensatz beinhaltet sowohl natürliche als auch menschengemachte Veränderungen. Um letztere zu erkennen, müssen also alle natürlichen Effekte wie die Wetterphänomene El Niño und La Niña oder auch Vulkanausbrüche aus den Daten herausgerechnet werden. Was dann übrigbleibt, das ist der menschliche Einfluss auf den Meeresspiegel." Und der, so sagen es die amerikanischen Forscher, lief gegen Ende der 25 Jahre schneller ab als zu Beginn. Ein Umstand, der bisher zwar diskutiert, aber nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte.

Die gefundene Beschleunigung extrapolierten die Forscher in die Zukunft. Ihr Ergebnis, das sie selbst als bewusst konservativ beschreiben, sagt einen Anstieg des Meeresspiegels von 65 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts voraus. "Die Berichterstattung über das Ergebnis", so Latif, "schlug ziemlich hohe Wellen. Leider aber wegen eines Fehlers. Plötzlich war die Rede davon, dass die neue Studie einen doppelt so hohen Anstieg des Meeresspiegels vorhergesagt hätte, wie bisher gedacht. Das stimmt aber nicht und das steht auch gar nicht in der Studie. Im Gegenteil: Die Datenstudie bestätigt die Vorhersagen der Klimamodelle."

"Climate-change-driven accerelerated sea-level rise detected in the altmeter era" (Originalveröffentlichung von Nerem in dem Fachjournal PNAS)

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