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Portrait

Energie aus Stroh

Nicolaus Dahmen will aus Stroh, Restholz und anderen Abfällen der Land- und Forstwirtschaft hochwertiges Benzin gewinnen. In einer großen Pilotanlage auf dem Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) funktioniert das schon. In fünf Jahren soll das Verfahren praxisreif sein.

Grund zum Feiern gibt es am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) immer wieder. Doch das Ereignis, zu dem vor fast genau einem Jahr viele Ehrengäste anreisten, war ein besonderes Highlight. Nach anderthalb Jahrzehnten wissenschaftlicher Vorbereitung wurde eine Pilotanlage in Betrieb genommen, die überschüssige Biomasse vom Acker in hochwertige synthetische Kraftstoffe verwandelt. Das neue Verfahren sei ein wichtiger Beitrag zur Energiewende, hieß es in den Festreden, und auch die Wirtschaft im ländlichen Raum könne davon profitieren.

„Fünf Jahre brauchen wir noch, dann ist das Verfahren praxisreif“, sagt Nicolaus Dahmen. Der Professor für Chemieingenieurwesen forscht seit zehn Jahren in der großen Pilotanlage auf dem Gelände des Karlsruher Forschungszentrums. Betrieben wird sie zusammen mit vier Industriepartnern und dank der Förderung von Bund, Land und EU. In der Anlage arbeiten rund achtzig Wissenschaftler und Techniker. Sie erzeugen derzeit hochwertiges Benzin, demnächst sollen Kraftstoffe für Dieselmotoren und Flugzeuge sowie Grundstoffe für die chemische Industrie folgen. Dahmen: „In den nächsten Jahren geht es darum, das Verfahren so zuverlässig und wirtschaftlich zu machen, dass es auf dem Markt bestehen kann.“

Dabei kann das bioliq genannte Verfahren (siehe Kasten) heute schon mit etlichen Vorteilen punkten. Es verwertet Stroh, Restholz und andere bisher kaum genutzte Nebenprodukte aus Land- und Forstwirtschaft, von denen hierzulande jährlich viele Millionen Tonnen anfallen. Das ist anders als bei Biokraftstoffen der ersten Generation, die aus eigens angebauten Feldfrüchten wie Raps oder Mais hergestellt werden. „Wir müssen nicht mit der Nahrungs- und Futtermittelproduktion konkurrieren und können uns doch auf steten Nachschub verlassen“, sagt Nicolas Dahmen.

Interessant ist die neue Technologie aber auch für Länder wie China, Indien und Brasilien, die über riesige Mengen an natürlichen Reststoffen verfügen. In Europa eignet sie sich insbesondere für Polen, Rumänien und Bulgarien, wo viel Biomasse anfällt. Tatsächlich kommen in Karlsruhe fast täglich Anfragen aus dem Ausland an, und in der Pilotanlage reiht sich eine internationale Delegation an die nächste. Sie alle treibt die Frage um: Wie lässt sich der steigende Kraftstoffverbrauch zuverlässig, wirtschaftlich und zugleich klimafreundlich decken?

Die Antwort könnte bioliq heißen. Der neue Biosprit vertrage sich problemlos mit heutiger Fahrzeugtechnik und eigne sich auch als Beimischung zu Kraftstoffen auf Erdölbasis. Überdies sei das Verfahren weitgehend klimaneutral: „Theoretisch wird bei der Verarbeitung der nachwachsenden Rohstoffe nur so Kohlendioxid freigesetzt, wie die Pflanzen vorher aus der Luft entnommen haben“, sagt Nicolaus Dahmen. In der Praxis benötige die Karlsruher Pilotanlage derzeit allerdings noch kleinere Mengen an fossiler Energie.  

Eine gute Ökobilanz des Verfahrens ist dem 53-Jährigen wichtig. Er stammt aus Moers, einer Stadt im Westen des Ruhrgebiets. Der Vater arbeitete in der chemischen Industrie, das prägte den Sohn ebenso wie die unmittelbare Nachbarschaft zu Stahl und Kohle. „Ich habe mich schon früh für Chemie interessiert, aber mindestens ebenso sehr für die Umwelt“, sagt Nicolaus Dahmen. Nach dem Chemiestudium mit anschließender Promotion an der Universität Bochum ging er 1992 an das KIT, das damals noch Kernforschungszentrum Karlsruhe hieß. Der junge Wissenschaftler wollte anwendungsnah forschen, in Karlsruhe konnte er es: Mit seinen Ideen trug er zu schadstoffärmeren und wirtschaftlicheren Prozessen in der Industrie bei und übernahm schließlich, im Jahr 2005, die wissenschaftliche Koordination der bioliq-Anlage.  

Nicolaus Dahmen ist stolz auf seine Anlage, in der er vor allem eine Forschungsplattform sieht. Das lockt den wissenschaftlichen Nachwuchs an – derzeit tüfteln 25 Doktoranden aus aller Welt an Verbesserungen des bioliq-Prozesses. Gelegentlich sieht man hier auch Dahmens Studenten, die er an Universitäten Heidelberg und Karlsruhe in den Fächern Technische Chemie und Chemieingenieurswesen unterrichtet.

In seiner Freizeit pflegt der Chemiker ein ungewöhnliches Hobby. Mit Zinnfiguren stellt er historische Ereignisse nach, um auf diese Weise vergangene Epochen besser zu verstehen. Allein ist er mit dieser Vorliebe keineswegs: Es gibt sogar eine Deutsche Gesellschaft für Freunde und Sammler kulturhistorischer Zinnfiguren e.V., deren kurpfälzische Sektion Nicolaus Dahmen leitet.

Mit seiner Frau, einer gelernten Schneidermeisterin, und den beiden Kindern lebt der vielbeschäftigte Wissenschaftler in Bruchsal im Kraichgau. Ob der Nachwuchs die Chemie-Tradition der Familie weiterführt? Das sei noch nicht entschieden, sagt Dahmen, zumindest der 16-jährige Sohn halte sich alle Optionen offen.

Das bioliq-Verfahren

Überschüssige Biomasse mithilfe von Wärme und Chemie stufenweise abzubauen und in synthetische Flüssigkraftstoffe umzuwandeln, darum geht es beim bioliq (biomass to liquid)-Verfahren. Das Konzept sieht folgende Schritte vor: Zunächst bringen Landwirte trockenes Stroh oder Holz in eine Umwandlungsanlage in ihrer Region. Dort wird der Rohstoff in nur zwei bis drei Sekunden auf rund 500 Grad Celsius erhitzt. Übrig bleiben Pyrolyseöl und -koks, die zu einem schwarzen Brei vermischt werden, dem sogenannten Biosyncrude. Das energiereiche Gemisch wird anschließend in eine Großanlage transportiert und dort bei Temperaturen von mehr als 1000 Grad Celsius in Synthesegas umgewandelt. Es besteht je zur Hälfte aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, die in Kraftstoffe oder Grundstoffe für die Chemieindustrie wie Ethylen oder Propylen umgewandelt werden können.  

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