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Globale Erwärmung

Artensterben durch Klimawandel?

Neue Nachbarn? Der eurasische Fischotter bekommt immer mehr Arten aus dem Mittelmeerraum zu Gesicht. Bild: Andre Künzelmann, UFZ

Biologen beobachten eine Wanderung von Tieren und Pflanzen in Richtung der Pole. Sie folgen der durch den Klimawandel verursachten Verschiebung der Klimazonen. Strittig ist, wie vielen Arten es nicht gelingen wird, sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Neue Erkenntnisse soll der Bericht des Weltklimarats bringen

Palmenblätter wiegen sich sanft im Wind. Auf den warmen Steinen sonnen sich Wasserschildkröten. Als sich eine Rheinfähre nähert, tauchen sie ab. In einiger Entfernung steigen rosafarbene Flamingos auf. Nur die Schwäne ziehen unbeeindruckt ihre Bahnen. Sieht so die Zukunft Deutschlands aus? In 60 bis 70 Jahren könnten hier ähnliche Klimaverhältnisse herrschen wie derzeit auf der Iberischen Halbinsel. Und mit dem Klima verändert sich auch die Tier- und Pflanzenwelt. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ in Halle halten das für möglich. Unter der Annahme, dass sich das globale Klima um 2,4 bis maximal 4,5 Grad Celsius erwärmen würde, haben sie bereits 2008 verschieden Umweltszenarien erstellt. "Bereits heute haben sich südeuropäische Tier- und Pflanzenarten in Deutschland angesiedelt und zeugen davon, dass es hier wärmer und trockener wird", sagt Ingolf Kühn, Biologe am UFZ.

Die Einschätzungen der UFZ-Forscher entsprechen der Beobachtung der Experten des Weltklimarates IPCC, nach der sich die großen globalen Klimazonen polwärts verschieben. Aufgrund des Temperaturanstiegs dehnt sich der tropische Klimagürtel entlang des Äquators nach Norden und Süden aus. Parallel dazu verlagern sich die übrigen Zonen über Ozeane und Kontinente hinweg in Richtung der Pole, so dass das heutige Mittelmeerklima allmählich auf die Höhe von Deutschland rückt.

Dass Tiere gewissermaßen nachziehen, um ihre gewohnte nach Norden abgewanderte Klimazone einzuholen, berichten Forscher der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg gemeinsam mit Experten aus Australien, Großbritannien und den USA in der Fachzeitschrift Nature. Sie hatten untersucht, wie schnell und in welcher Richtung sich das Klima global von 1960 bis 2009 veränderte und wie sich diese Veränderungen auf die Tierpopulationen auswirkten. Danach weichen Landtiere nicht nur in Richtung Norden aus, sondern auch in kühlere Höhenlagen. Diese können allerdings wie Küstenstreifen zu "klimatischen Sackgassen" werden: "Meere und Ozeane sind für viele Spezies unüberwindbare Barrieren, Berge reichen nicht in beliebige Höhen hinauf", erklärt Kühn. Sind Tiere und Pflanzen von Regionen mit passenden Lebensbedingungen abgeschnitten, sterben sie aus - zumindest lokal.

Klimaveränderungen sind in der Erdgeschichte nicht ungewöhnlich, aber in der Regel erfolgen sie über mehrere Jahrhunderte hinweg und geben der Tier- und Pflanzenwelt genügend Zeit zu reagieren. "Kritisch an dem Klimawandel heute ist die Geschwindigkeit, mit der er sich vollzieht, sowie die Zugänglichkeit von Fluchtkorridoren in kühlere Gebiete", sagt Kühn. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern vom UFZ war er bereits an mehreren Studien beteiligt, die das Vorkommen von Schmetterlingen und Vögeln im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung erforschten. Eine Veröffentlichung von 2012 zeigt: Zwischen 1990 und 2008 hat sich das Klima in Europa sehr schnell verändert. Schmetterlingspopulationen lagen zuletzt etwa 135 Kilometer hinter ihrer gewohnten Klimazone zurück, Vögel sogar 212 Kilometer. "Dabei sollten die flugfähigen Tiere noch am leichtesten Schritt halten können", so Kühn. Dicht besiedelte und großflächig bewirtschafte Durchgangsgebiete wie Deutschland böten Tieren und Pflanzen kaum genügend Lebensraum und stellten auf ihrem Weg nach Norden ein Hindernis dar. Die Wanderung der Tiere erfolge über mehrere Generationen hinweg, ergänzt der Biologe. Da Schmetterlinge über eine kürzere Lebensspanne verfügten, seien sie in ihrer Gesamtheit - auch evolutionär - anpassungsfähiger und daher wohl auch schneller als die Vogelpopulationen.

Uneins sind sich Forscher noch darüber, wie gut den Tieren die Anpassung gelingt und ob der Klimawandel zu einem größeren Artensterben führen wird. Am kommenden Montag veröffentlicht der Weltklimarat IPCC seinen aktuellen Sachstandsbericht zu den Auswirkungen der Erderwärmung. Bislang rechneten viele Wissenschaftler langfristig mit einem Rückgang der biologischen Vielfalt. Ihre Modelle stützen sich unter anderem auf Fakten aus dem letzten Sachstandreport des Weltklimarats von 2007: Danach sind 20 bis 30 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten durch den Klimawandel vom Ausstreben bedroht. Andere Wissenschaftler weisen darauf hin, dass es auch während der Eiszeiten innerhalb kürzester Zeit starke Temperaturschwankungen gegeben habe. Die Tiere hätten neue Lebensräume bezogen, aber zu einem massenhaften Artensterben sei es nicht gekommen. "Während der Kleinen Eiszeit sind beispielsweise boreo-alpine Vögel weit in den Süden vorgedrungen und befinden sich seit 1790 wieder auf Rückzug gen Norden", sagt Ragnar Kinzelbach, emeritierter Zoologe der Universität Rostock. Ursprünglich aus den nordischen Nadelwäldern der Taiga stammend, hätten sich Arten wie die Alpendohle aber auch in den Alpenregionen niedergelassen. Mit Spannung erwarten die Wissenschaftler die Einschätzungen des Weltklimarates in dieser Frage.

Department Biozönoseforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ

Geographical limits to species-range shifts are suggested by climate velocity. Nature (2014); doi:10.1038/nature12976

Differences in the climatic debts of birds and butterflies at a continental scale. Nature (2012); doi:10.1038/NCLIMATE1347

Iberian Peninsula as a potential source for the plant species pool in Germany under projected climate change. Plant Ecology (2010); doi:10.1007/s11258-009-9664-6

Climate and land use change impacts on plant distributions in Germany. Biology Letters (2008) doi:10.1098/rsbl.2008.0231

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