Direkt zum Seiteninhalt springen

Porträt

Klimaforscher mit neuem Auftrag

Seit März 2020 ist Gerald Haug Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Bild: David Ausserhofer

In den vergangenen Jahren war der Geologe und Klimaforscher Gerald Haug oft mit Forschungssegelboot und Tiefseebohrschiff auf den Weltmeeren unterwegs. Doch aktuell müssen die Expeditionen warten. Als Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina verschafft Haug der Wissenschaft Gehör bei der Politik.

Um den Geheimnissen der Atmosphäre auf die Spur zu kommen, schicken manche Klimaforscher Ballons mit Messinstrumenten kilometerweit in die Höhe. Bei Gerald Haug geht es indes vornehmlich in die andere Richtung: in die Tiefe. Bohrungen in Sedimenten von Meeren und Seen sind sein Metier. Die Analyse sogenannter Bohrkerne erlaubt Rückschlüsse auf Temperaturen, Niederschlagswerte und Treibhausgaskonzentrationen der letzten Jahrtausende bis Jahrmillionen. Dank solcher historischen Bezugspunkte können die Klimadaten im Hier und Jetzt besser eingeordnet werden. Bei Haugs Spezialisierung ist es auch kein Wunder, dass seine Berufsbezeichnung exotisch anmutet: Er ist Paläo-Ozeanograph. „Die Ergebnisse der Paläoklimaforschung spielen bei der Erforschung der Ursachen von Klimaveränderungen eine zentrale Rolle“, sagt Haug. „Sie haben zu einer Revolution des Verständnisses unseres Klimasystems geführt.“

Haug selbst hat maßgeblich zu dieser Revolution beigetragen. Denn lange war die Ursache der großen Eiszeiten auf der Nordhalbkugel vor 2,7 Millionen Jahren unklar. Kalt genug dafür war es paläoklimatischen Daten zufolge bereits seit 14 Millionen Jahren. Was fehlte, war der Niederschlag. Haug konnte zusammen mit weiteren Forschern nachweisen, dass sich vor etwa 2,7 Millionen Jahren die Meeresströmungen im Nordpazifik entscheidend änderten. In der Folge stieg die Wasseroberflächentemperatur, was dann zu mehr Verdunstung über dem Ozean und somit zu mehr Niederschlag führte. Grönland und der Norden Amerikas, Europas und Asiens verschwanden unter einer permanenten Eiskappe. Für diese Arbeit wurde Haug 2007 mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft geehrt, dem wichtigsten Forschungsförderpreis in Deutschland.

Eigentlich wollte Haug Umweltgeologe werden, weil ihm der starke Praxisbezug dieses Berufs gefiel. Doch nach Studium und Promotion verschrieb er sich dann doch ganz der Grundlagenwissenschaft, forschte an führenden Instituten in Deutschland, Kanada und den USA. 2002 habilitierte er sich schließlich an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ). Ein Jahr später übernahm er die Stelle eines Sektionsleiters am Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam und wurde Professor an der Universität Potsdam. Zurück an die ETH Zürich wechselte er 2007. Im Jahr 2015 kehrte Haug nach Deutschland zurück und übernahm einen der vier Direktorenposten am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, wobei er seine Lehre an der ETH in Zürich fortsetzte.

Als Leiter der Abteilung Klimageochemie konnte er in Mainz ein ungewöhnliches Projekt vorantreiben: das Forschungssegelboot Eugen Seibold. Die Eugen Seibold ist eine Hochseeyacht für die Meeres- und Klimaforschung, die auf das kontaminationsfreie Sammeln von Meerwasser-, Plankton- und Luftproben und deren Analyse in den Laboren an Bord ausgelegt ist. Haug war von der Konzeption bis zur Schiffstaufe 2018 an dem Projekt beteiligt: „Heute werden zur Probensammlung hauptsächlich bis zu 140 Meter lange Forschungsschiffe mit 30 bis 80 Mann starken Besatzungen genutzt, die am Tag bis zu 100.000 Euro kosten. Für die Art der Probenahme, wie wir sie für die Klimaforschung benötigen, sind diese Schiffe oft überdimensioniert.“ Seit Ende 2018 ist die Eugen Seibold im Atlantischen Ozean unterwegs und liefert Daten, die zum besseren Verständnis der komplexen Prozesse der Physik, Chemie und Biologie der Ozeane und der Atmosphäre beitragen.

Haug selbst ist bei den aktuellen Törns im Atlantischen Ozean nicht dabei. Und auch für das Hobby Segeln – Haug kreuzt gelegentlich mit seinem eigenen Boot im Greifswalder Bodden – bleibt wenig Zeit. Mit der Leitung der ältesten ununterbrochen existierenden naturwissenschaftlich-medizinischen Akademie der Welt wartete in diesem Jahr die nächste große Herausforderung auf ihn. Seit 2012 Mitglied der Leopoldina, arbeitete Haug an mehreren Veröffentlichungen der Nationalakademie zur wissenschaftsbasierten Politikberatung mit und fand Gefallen an der Vermittlerrolle zwischen Wissenschaft und Politik. „Als Nationale Akademie der Wissenschaften hat die Leopoldina großes Potenzial, die Meinungsbildung in Politik und Gesellschaft tatkräftig und wirksam zu unterstützen“, sagte Haug Ende 2019 anlässlich seiner Wahl zum 27. Präsidenten der Akademie. „Die Leopoldina kann zum Konsens über aktuelle Fragen und auch Zukunftsthemen beitragen. Diese Aufgabe wird in unserer sich schnell wandelnden und zunehmend komplexen Welt immer wichtiger – national, europäisch und weltweit“, so Haug.

Als der neue Präsident sein Amt wenige Monate später antrat, verbreitete sich das neue Coronavirus SARS-CoV-2 gerade von China aus um den Erdball. In mittlerweile sechs Papieren zu SARS-CoV-2 und der durch das Virus ausgelösten Pandemie erarbeitete die Akademie Handlungsoptionen und gab damit der öffentlichen Diskussion ein wissenschaftliches Fundament. Durch seine neue Aufgabe ist Haugs wissenschaftliche Arbeit aktuell etwas in den Hintergrund gerückt, doch ganz lässt sie ihn nicht los. Zum Beispiel gibt es einige Wissenslücken bezüglich des Einflusses der Ozeane auf das Klima, die den Geologen umtreiben. Konkret geht es um sogenannte nichtlineare Prozesse, also den Wechsel zwischen verschiedenen Klimazuständen. Das klassische Beispiel sind hier die El Niño- und La Niña-Phänomene, die in unregelmäßigen Abständen für Dürren beziehungsweise Überschwemmungen in tropischen Gebieten sorgen.

Große Klimaveränderungen gab es in der Geschichte der Erde immer wieder. Das kann auch Gerald Haug aus seinen Bohrkernen ablesen. Zum Beispiel offenbarten seine Untersuchungen von Sedimenten vor der Küste Venezuelas historische Dürreperioden, die zeitlich mit dem Untergang der Hochkultur der Maya in Mittelamerika korrelierten. Auch für andere Regionen und Zeitalter fand Haug Hinweise auf Auswirkungen von Klimaveränderungen auf die Geschichte, darunter einen Zusammenhang zwischen abgeschwächten Monsunzeiten und dem Untergang mehrerer chinesischer Dynastien. „Diese Beispiele weisen auf die Empfindlichkeit von hochentwickelten Kulturen hin, die ihre Umwelt bis an den Rand des Tragbaren ausschöpfen“, so Haug.

Heute ist diese Warnung aktueller denn je, weil die natürliche Dynamik des Klimas durch den Einfluss des Menschen in einer ganz anderen Größenordnung verändert wird. „Wir können mit den heutigen Methoden feststellen, dass sich spätestens seit der industriellen Revolution ein Signal in den Klimadaten findet, dass wir nur mit dem Einwirken des Menschen erklären können“, sagt Haug. Aufgrund der schnell voranschreitenden Erhöhung der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre werde sich die Erde weiter erwärmen: „Daran besteht kein Zweifel“, konstatiert der Paläo-Ozeanograph. Haug wird den Klimawandel weiterhin genau untersuchen und Lösungsansätze vermitteln – als Brückenbauer zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina

Die 1652 gegründete Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina wurde 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. In dieser Funktion hat sie zwei besondere Aufgaben: die Vertretung der deutschen Wissenschaft im Ausland sowie die Beratung von Politik und Öffentlichkeit, unter anderem zu Themen wie der Coronavirus-Pandemie, der Biodiversität, dem Klimawandel oder der Energiewende.

Website der Leopoldina

Helmholtz-Jahrestagung

Am 12.10.2020 von 14:00 bis 16:00 Uhr findet die Helmholtz-Jahrestagung statt. Dieses Jahr virtuell, an drei Standorten und offen für alle. Es wird unter anderem um die COVID-19-Pandemie gehen. Auch Gerald Haug wird zu Gast sein. Im Science Talk "Globale Gesundheit" wird er mit unseren Expertinnen und Experten zum Beispiel über Fortschritte bei der Entwicklung von Wirk- und Impfstoffen diskutieren. Weitere Informationen und das vollständige Programm finden Sie hinter dem folgenden Link:

Helmholtz-Jahrestagung 2020

Leser:innenkommentare