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Kernfusion

Das Sonnenprinzip

Ein etwas anderer Ofen: Im Plasmagefäß der Fusionsanlage ASDEX Upgrade erforschen Wissenschaftler, unter welchen Bedingungen Kernfusion in größeren Anlagen Energie erzeugen könnte. Bild: Volker Rohde/ IPP

Eine praktisch unerschöpfliche Energiequelle, sauber und sicher: Das soll sie eines Tages sein, die Kernfusion. Doch der Durchbruch wird seit 50 Jahren immer wieder verschoben. Die Geschichte über einen Traum und den Durchhaltewillen von Wissenschaft und Politik

Mit Prognosen kennt Isabella Milch sich aus. Wann Kernfusion denn nun endlich Energie erzeugen werde, so wurden sie und ihre Kollegen über die Jahre hinweg immer wieder gefragt. Die Antworten: mal zuversichtlich, mal vorsichtig, mal skeptisch, auch mal pessimistisch. „Es gab ein Konzert vieler Stimmen“, sagt Pressesprecherin Milch, seit 1985 Mit­arbeiterin am Max-Planck-Institut für Plasma­physik in Garching, das der Helmholtz-Gemeinschaft angehört. In den Anfängen der Fusionsforschung in den 1950ern hieß es bei einigen: 30 Jahre noch. Immerhin war deutlich weniger Zeit zwischen der ersten Kernspaltung und Kernenergiegewinnung verstrichen. Dann entdeckte man „Bohm-Diffusion“, „Instabilitäten“ und „Mikroturbulenzen“ – die Teil­chen taten eben nicht genau, was von ihnen erwartet wurde. „Das Ergebnis war miese Stimmung auf den Konferenzen“, sagt Isabella Milch. Trotzdem bekam man die Probleme in den Griff. Und wie ist die Stimmung heute? „Keiner hier zweifelt daran, dass es gelingen kann“, sagt Milch. „Aber niemand kann garantieren, dass es gelingen wird.“

Die Logik hat sich kaum geändert: Weil es ge­lingen kann, fließt seit Jahrzehnten Geld in die Fusionsforschung. Doch weil niemand garantieren kann, dass es gelingen wird, gibt es Politiker, die finden, es müsse bald damit Schluss sein. Politiker wie Kai Gehring, Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung der Grünen-Bundestagsfraktion. Gegenüber den Helmholtz Perspektiven zieht er Bilanz: „Der Beitrag, den die Kernfusion in diesen entscheidenden Jahren zur Klimarettung leisten kann, liegt eindeutig bei Null. Für uns sind Technologien im Rahmen der Energie­wende erfolgreich, die vor 2050 risikoarm und nachhaltig, zu finanzierbaren Kosten verfügbar und global leicht exportierbar sind.“ Gehring berichtet von einer besonderen physikalisch-politischen Größe: „Seit Jahrzehnten wird die Verfügbarkeit der Energie aus Kernfusion in die Zukunft verschoben: Nur noch 30 bis 40 Jahre, so heißt es in schöner Regelmäßigkeit. Das bezeichnet man – selbst innerhalb der Fusionsgemeinde einigermaßen zynisch – als Fusionskonstante. Im Ergebnis steht den immensen Investitionen bisher kein greifbarer Nutzen gegenüber.“

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sieht das anders: Es lobt die deutschen Fusionsforschungsinstitute für ihre Arbeit „auf höchstem internationalem Niveau” und sieht „optimale Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zwischen der Forschung und der deutschen Industrie”. Hat die Forschung nun versagt? Isabella Milch meint: nein. Sie erzählt, welche Erfolge bisher errungen werden konnten: „Die Fusionsforscher wissen, wie man das Plasma aufheizt, aus dem Energie gewonnen werden soll. Sie haben die Messtechnik für das berührungsfreie Beobachten des Plasmas entwickelt. Sie kennen die passenden Strukturen des Magnetfelds. Und sie haben gezeigt, dass damit Fusion möglich ist.“ Jetzt muss noch gezeigt werden, dass man auch tatsächlich Energie gewinnen kann.

Bald in Betrieb: Alle fünf Module der Forschungsanlage Wendelstein 7-X sind montiert, es fehlt nur noch das letzte Stück der Außenhülle. Bild: Anja Ullmann/ IPP

„Kernfusion ist die einzige bekannte Energiequelle, die die Menschheit noch nicht erschlossen hat“

Eine große Halle im Max-Planck-Institut in Garching: Hier steht die Forschungsanlage. Von außen ist sie kaum zu erkennen. Um sie herum verstellen Sonden, Vakuumpumpen, Schläuche, Kupferkabel und Stahlträger den Blick – alles, was nötig ist, um Dichte, Licht und Temperatur zu messen. Das Innere wirkt wie die Kulisse eines Science-Fiction-Films, mit dessen Kulissenbauern die Phantasie durchgegangen ist: In einem etwa mannshohen Torus von der Form eines Donuts sind alle Wände mit silberfarbenen Wolframplatten ausgekleidet, in der Mitte befindet sich eine Art Säule. Im Inneren schwebt bei Versuchen das Plasma, ein außerordentlich dünnes Gemisch aus normalem Wasserstoff und Deuterium. Den echten Kraftwerksbrennstoff aus Deuterium und Tritium hat in Europa bislang nur das große Gemeinschaftsexperiment JET eingesetzt. Das Plasma besteht aus ionisierten Atomen, deren Kerne sich abstoßen – eigentlich. Heizt man sie aber auf und jagt sie mit riesiger Geschwindigkeit aufeinander, können sie ihre Abstoßung überwinden und zu einem Kern verschmelzen. Dadurch wird Energie freigesetzt. Das Problem: Bisher muss für all das noch zu viel Energie eingesetzt werden.

Außer in Garching betreibt das Max-Planck-Institut auch in Greifswald Kernfusionsforschung: Dort laufen die Vorbereitungen für den 2015 geplanten Betrieb der Forschungsanlage „Wendelstein 7-X“. Zudem wird am Forschungszentrum Jülich und am Karlsruher Institut für Technologie geforscht – all das unter dem Dach der Helmholtz-Gemeinschaft und in Kooperation mit dem weltweiten Projekt ITER, in dem die EU, USA, Russland, Japan, Südkorea, Indien und China zusammenarbeiten. Das nächste Ziel: das Plasma für etwa sechs Minuten zum Brennen zu bringen, so dass circa 500 Megawatt produziert werden, etwa zehn Mal mehr, als vorher investiert wurde. „Das soll bis Ende der 2020er Jahre gelingen“, sagt Isabella Milch. Bis 2050 soll das Projekt DEMO Prototypen von Kraftwerken hervorbringen, in denen das brennende Plasma dauerhaft Energie erzeugt. „Möglicherweise gehen dann die teilnehmenden Länder wieder eigene Wege“, sagt Milch. China etwa plant schon jetzt zwei bis drei unterschiedliche Kraftwerktypen. „Das ist schon beeindruckend. Man kann das auch mit einem gewissen Neid betrachten.“

Bei derartigen Forschungsgroßprojekten zeige sich ein vermeintlicher Vorteil autoritärer Staaten, sagt Stefan Hornbostel, Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Wissenschaftsforschung am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin: „China ist in der Lage, Planungshorizonte von 20 bis 30 Jahren mit einiger Konsequenz um­zusetzen. Auch, weil es weniger auf die Erneuerung politischer Legitimation zu achten braucht.“ Es ist aber nur ein vermeintlicher Vorteil: Derselbe politische Legitimationsprozess, der in demokratischen Staaten gelegentlich zu Verzögerungen oder Planänderungen bei Großprojekten führt, ist in der Lage, einen nachhaltigen gesellschaftlichen Konsens zugunsten der Grundlagenforschung herzustellen. Einen Konsens, um den Deutschland selbst von einigen seiner europäischen Nachbarn beneidet wird. So entsteht eine auf den ersten Blick widersprüchliche politische Konstellation: Politiker, deren Zeithorizont sich normalerweise auf die Dauer einer Legislaturperiode beschränkt, unterstützen Forschungsvorhaben, die vielleicht einmal etwas bringen – vielleicht aber auch nicht. Deren Erfolg aber auf jeden Fall erst in Dekaden absehbar ist.

Wie kann das sein? Der erste Grund: Weil das Ziel als unvergleichlich wichtig gilt. „Die Kernfusion ist die einzige bekannte Energiequelle, die die Menschheit noch nicht erschlossen hat“, sagt Stefan Hornborstel. „Sie wäre praktisch unerschöpflich, jederzeit verfügbar, ohne CO2-Emission, ohne Endlagerung radioaktiver Abfälle und ohne gravierende Sicherheitsrisiken.“ Der zweite Grund laut Hornborstel: die politische Kultur in Westeuropa. „Es gibt starken, parteiübergreifenden Konsens über Langzeitvorhaben. Nicht nur bei der Kernfusion, sondern zum Beispiel auch bei der Krebsforschung.“ Dieser Konsens müsse dennoch immer wieder erneuert werden – auch mithilfe von Monitoring und Bestandsaufnahmen. Dass das Ergebnis kein selbstverständliches „Weiter so“ sein muss, sei ein großer Vorteil auf Seiten demokratischer Staaten. Als Beispiel nennt er den deutschen Ausstieg aus der jahrzehntelang politisch protegierten Atomenergie.

Vielschichtig: Ein noch offenes Modul von Wendelstein7-X zeigt den komplexen Aufbau der Forschungsanlage. Bild: Wolfgang Filser/ IPP

Dass Staaten überhaupt für Forschung Geld ausgeben, ist ein relativ junges Phänomen. Laut
Peter Weingart, Wissenschaftsforscher und Soziologie-Professor an der Uni Bielefeld, begann die Debatte um öffentliche Forschungsgelder 1946 in den USA. Vorher gab es dort staatliche Forschungsförderung nur für die Rüstung. In seinem Report „Science: The Endless Frontier“ sprach sich der US-amerikanische Ingenieur und Forschungspolitiker Vannevar Bush dafür aus, die Förderung der Grundlagenforschung auch in Friedenszeiten aufrecht zu erhalten – mit dem Argument, dass sie den Wohlstand und die Gesundheit der Amerikaner gewährleisten würde. Damit war Forschungsförderung nun nicht mehr auf Fragen der nationalen Sicherheit beschränkt. Nach wie vor mussten die Forschungsziele aber zumindest indirekten Anwendungsnutzen für Wirtschaft und Bürger versprechen, etwa durch den „technological fallout“ – Abfallprodukte der Großforschung, die in anderen Bereichen nützlich sein können. Zum Beispiel waren es die Hochenergiephysiker, die bei der Entwicklung des Teilchenbeschleunigers Hochleistungscomputer hervorbrachten. Diese kommen heute in vielen anderen Bereichen zum Einsatz.

„Wenn alles nützlich sein soll, geht das zu Lasten der Grundlagenforschung“

„In Deutschland spielte neben dem erhofften Nutzen in der Zukunft auch der Gedanke eine Rolle, die Förderung der Grundlagenforschung sei ein Wert an sich“, sagt Peter Weingart. „Und zwar als Beleg der Wissenschaftsfreiheit und damit als Charakteristikum des freien Westens.“ Seit dem Ende des Kalten Krieges seien ökonomische Argumente aber wieder wichtiger geworden, wie die Debatte um Spin-offs und Technologietransfer aus Universitäten zeige. Doch wenn alles nützlich sein soll, dann geht das zu Lasten der Grundlagenforschung. Schließlich weiß bei der niemand, ob und wann sie zu welchen verwertbaren Ergebnissen gelangen wird. „Die Kriterien, an denen sich der Forschungserfolg messen lassen muss, werden im laufenden politischen Prozess immer wieder neu formuliert“, sagt der Sozialwissenschaftler Stefan Hornborstel.

Dennoch entsteht eine Kontinuität. „Wenn das Parlament über Fusionsforschung abstimmen könnte, würde sie vermutlich nicht stattfinden, schon weil sich die Mehrheiten immer wieder ändern“, sagt Weingart. „Allerdings entspricht es dem Wesen der repräsentativen Demokratie, dass Verantwortung delegiert wird – vom Wähler zum Parlament zur Regierung zu untergeordneten Instanzen, die zwar selbstständig handeln, aber Teil dieser Legitimationskette sind.“ Über die Kernfusion entscheiden letztlich das Europäische Fusionsprogramm der EU-Kommission, das Bundesforschungsministerium sowie die verschiedenen Wirtschafts-, Kultus- und Wissenschaftsministerien der Bundesländer.

Im Mai 2014 starten die Tests an der Forschungsanlage Wendelstein 7-X in Greifswald. Vor 2015 wird dort allerdings noch kein heißes Plasma entstehen. Mithilfe von Wendelstein 7-X wollen die Forscher herausfinden, ob sich der Bautyp „Stellerator“ mittelfristig als Kraftwerk eignet. Was am Ende dabei herauskommt? Das wird man erst erfahren, wenn man es ausprobiert.

Kernfusion – das Prinzip

Treffen zwei Atomkerne aufeinander, so stoßen sie sich gegenseitig elektrisch ab – eigentlich. Heizt man sie aber auf und schleudert sie mit hoher Energie aufeinander zu, so können sie diese Abstoßung überwinden. Kommen sie sich dabei nahe genug, können sie zu einem Kern verschmelzen. Am leichtesten gelingt das mit den beiden Wasserstoff-Sorten Deuterium und Tritium: Aus ihnen entsteht durch die Verschmelzung Helium. Dabei wird ein elektrisch ungeladenes Neutron freigesetzt, das mit großer Geschwindigkeit in die Wand der Brennkammer saust. Dort verwandelt sich seine Bewegungsenergie in Wärme. In der übermannshohen Kammer ist ein starkes Magnetfeld aufgebaut, das das elektrisch geladene Deuterium, Tritium und Helium in der Schwebe hält. Denn kämen diese Teilchen mit der Wand in Berührung, würde der ultradünne Brennstoff sofort abkühlen.
Das alles ist erstmals 1991 bei JET gelungen. Man sieht: Kernfusion ist im Prinzip eine einfache Sache. Das Problem: Die auf 100 Millionen Grad Celsius erhitzten Wasserstoff-Teilchen müssen ihre Temperatur über längere Zeit halten, damit das Plasma brennen kann – dazu muss man derzeit noch mehr Energie hineinstecken, als am Ende herauskommt. Im Experimentalreaktor ITER in Südfrankreich arbeiten Forscher daran, dies zu ändern. Gelingt es, sollen Prototypen von Kraftwerken entstehen, um Energie im großen Stil zu gewinnen.

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