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Quantified Self

Die Lebensvermesser

Apps, GPS-Daten und Smartphones: Durch die Vermessung ihres Alltags mit solchen digitalen Hilfsmitteln versuchen immer mehr „Self-Tracker“, Neues über sich selbst herauszufinden. Doch Kritiker bemängeln, dass dieser Trend zum so genannten „Quantified Self“ auch Datenschutz-Probleme mit sich bringt. Lesen Sie den zweiten Teil unserer Artikelserie zum Wissenschaftsjahr „Die Digitale Gesellschaft“

Die Temperaturen steigen und mit ihr die Zahl der Jogger. Das passiert jedes Jahr um diese Zeit – neu sind jedoch die Geräte, mit denen sich immer mehr Läufer selbst vermessen. Mit Brustgurt, Armband oder einem kleinen Ansteck-Clip dokumentiren sie von der Schrittzahl über die Höhenmeter bis zum Puls möglichst viele Daten rund um ihre sportliche Aktivität. Zuhause erfassen dann viele von ihnen zusätzlich ihren Schlaf, welche Nahrungsmittel sie zu sich genommen haben oder Gesundheitswerte wie Blutdruck, Blutzuckerspiegel oder den Sauerstoffgehalt in ihrem Blut.

Es ist erst sieben Jahre her, dass die beiden US-Technikjournalisten Gary Wolf und Kevin Kelly in den USA dafür den Begriff „Quantified Self“ prägten. Die Idee: Menschen vermessen ihren Alltag mit digitalen Hilfsmitteln und versuchen so, zu tieferen Erkenntnissen über ihr Leben zu gelangen. „Selbsterkenntnis durch Zahlen“, so das Motto der Bewegung, die es auch nach Europa geschafft hat. In zahlreichen deutschen Städten treffen sich die Selbstvermesser und tauschen Ergebnisse und Gedanken aus. Ihre genaue Zahl lässt sich nicht festlegen, aber Marktforscher gehen davon aus, dass bis 2017 weltweit über 90 Millionen tragbarer Tracker – wie zum Beispiel Armbänder – verkauft sein werden, und sprechen von der „nächsten Innovationswelle im Bereich der Endgeräte“.

Laut Wolf und Kelly sind vier Faktoren für den Trend verantwortlich: Zum einen werden die Sensoren, mit denen sich zum Beispiel Bewegungen messen lassen, immer kleiner und billiger. Zum anderen tragen immer mehr Menschen Smartphones bei sich, in denen von GPS bis zu einem Beschleunigungsmesser bereits viele solcher Sensoren enthalten sind. Drittens haben es soziale Netzwerke wie Facebook normaler gemacht, private Dinge mit anderen im Netz zu teilen – und die Entwicklung des Cloud Computing schließlich vereinfacht die Vernetzung verschiedener Messgeräte sowie die Speicherung und Zusammenführung der Daten.

"Gemerkt, wie viel Zeit ich verplempere"

Brian Fabian Crain hat vor etwas mehr als zwei Jahren Gefallen an Quantified Self gefunden. Neben seinen Schritten, seiner Ernährung, seinem Sportpensum und seinen Ausgaben, die er regelmäßig trackt, hat sich der 28-jährige Schweizer vor allem auf die Themen Konzentration und Produktivität spezialisiert. Er unterteilt seine Arbeitszeit in Blöcke à 25 Minuten und erfasst nach jedem, woran und wie konzentriert er gearbeitet hatte. Das Ergebnis: Über ein halbes Jahr stieg Crains Produktivität nach und nach an, bis sie schließlich auf einem Niveau verharrte, das ungefähr doppelt so hoch war wie am Anfang seiner Messung. „Ich habe erst durch das bewusste Eintragen in die Tabelle gemerkt, wie viel Zeit ich eigentlich verplempere“, sagt Crain, der gerade seinen Masterabschluss in Psychologie gemacht hat, der zweite nach einem Master in VWL und Philosophie.

Die vielleicht spannendste Möglichkeit ist jedoch, durch Quantified Self neue Zusammenhänge zu entdecken, indem man verschiedene Datenreihen miteinander verknüpft: Wie wirkt sich meine Ernährung auf meine Schlafqualität aus? Wie beeinflusst meine Schlafqualität wiederum meine sportlichen Leistungen oder meine berufliche Produktivität? Manchmal mögen die Erkenntnisse banal sein, doch einige Self-Tracker haben durch diese Miniversuchsreihen bereits Probleme wie Schlafstörungen oder Migräne in den Griff bekommen. Mit Verhaltensänderung statt mit Medikamenten.

Aktuelle Trends und Datenschutz-Probleme

Für die zukünftige Entwicklung lassen sich zwei Trends ausmachen: Zum einen wird es zahlreiche neue intelligente und tragbare Geräte – so genannte Wearables - geben, die denjenigen vermessen, der sie trägt. So hat zum Beispiel Apple ein Patent für Ohrstöpsel angemeldet, die Körpertemperatur, Puls und Sauerstoffgehalt im Blut messen, wenn man Musik hört oder mit ihnen telefoniert. Auf die nächste leistungsfähigere Version von Google Glass, einer Brille mit eingebautem Mini-Computer und Kamera, warten viele Nutzer ebenso gespannt wie auf eine mögliche Smartwatch des Apple-Chefdesigners Jonathan Ive. Dazu kommen zahlreiche Projekte kleinerer Unternehmen, die ihre Prototypen und Entwicklungen über Crowdfunding im Internet finanzieren und dabei beträchtliche Summen einsammeln. Der gegenläufige Trend ist jedoch, dass einige der tragbaren Gadgets wieder verschwinden  werden, da ihre Funktionen in die allgegenwärtigen Smartphones integriert werden. Um seine Schritte zu zählen, muss heute niemand mehr ein 100 Euro teures Armband kaufen – der Bewegungssensor eines neueren Telefons genügt.

Kritiker bemängeln neben dem Placebo-Effekt, der mancher Verbesserung zugrunde liegen könnte, vor allem den mangelnden Datenschutz. Eine Untersuchung des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv) von Quantified Self-Apps und -Plattformen ergab, „dass sich die Anbieter in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Datenschutzbestimmungen umfassende Rechte hinsichtlich der Nutzerdaten einräumen“ lassen. Einige Anbieter ließen sich beispielsweise die Rechte übertragen, die Nutzerdaten zu Werbezwecken zu verwenden oder an nicht definierte Dritte weiterzugeben.

Die meisten Self-Tracker lassen sich jedoch von diesen Bedenken nicht verunsichern. Durch Handyortung, Online-Cookies und ähnliches sammelen Firmen wie Google, Amazon und Apple schon seit Jahren Unmengen an Nutzerdaten ein – durch Quantified Self, so die Argumentation der Befürworter, habe man wenigstens Zugriff darauf und könne selbst aus seinen Daten etwas lernen. Und sei es nur, wie sich die nächste Runde schneller joggen lässt.

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