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Interview

Die Jagd nach neuen Wirkstoffen

Bild: HZI/ Thomas Steuer

Infektionsforschung trifft Pharmazie, unter diesem Motto haben das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und die Universität des Saarlandes 2009 gemeinsam das Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) gegründet. Bis 2015 sollen die Wissenschaftler ein neues, modernes Forschungsgebäude beziehen. Am 21. August erfolgte der erste Spatenstich. Wir sprachen mit Prof. Rolf Müller, geschäftsführender Direktor des HIPS, über Erfolge und Perspektiven der Wirkstoffforschung und über das neue Gebäude.

Antibiotika verlieren zunehmend ihre Wirkung. Die Suche nach neuen Wirkstoffen beschäftigt Forscher in aller Welt. Wie funktioniert die moderne Wirkstoffforschung und welche Erfolge gibt es zu vermelden? Wir sprachen mit Prof. Rolf Müller, dem Leiter des HIPS, wo sich 150 Wissenschaftler der Jagd nach neuen Substanzen verschrieben haben.

Antibiotika verlieren zunehmend ihre Wirkung - in welche Richtung geht die moderne Antibiotikaforschung heute?

Nach wie vor geht es um die Identifizierung neuer Wirkstoffe - im Idealfall mit neuem Wirkmechanismus und minimalen Nebenwirkungen. Bakterien und Viren leben schon wesentlich länger auf der Erde als Menschen und werden aufgrund ihrer enormen Anpassungsfähigkeit vermutlich auch länger hier sein als wir. Durch diese Eigenschaften begründet sich auch die prinzipielle Problematik der Antibiotikaforschung: Resistenz ist keine Frage des ob, sondern nur des wann. Deshalb müssen wir kontinuierlich große Anstrengungen unternehmen, um neue Antibiotika zu entwickeln. Dabei werden vielfältige Ansätze verfolgt, die auf den wissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte beruhen und somit Technologien aufgreifen, die noch vor relativ kurzer Zeit nicht zur Verfügung standen. Zu nennen sind hier beispielsweise die funktionale Genomik, die Strukturbiologie im Zusammenhang mit der Medizinalchemie oder auch die Nanotechnologie.

Hält die Natur noch genügend Wirkstoffe bereit, die es nur zu entdecken gilt oder muss die Wissenschaft hier neue Wege gehen?

Das "Vorbild Natur" ist eine der besten Ressourcen für neue Wirkstoffe und es gibt hier noch unglaublich viel zu entdecken. Um allerdings die Chancen zur Auffindung neuer Wirkstoffe zu erhöhen, müssen die wissenschaftlichen Fortschritte der letzten beiden Jahrzehnte berücksichtigt werden. "Neue Wege" bedeutet ja nicht zwangsläufig, die alten Wege zu verlassen. Es beinhaltet auch deren Erweiterung um neue Möglichkeiten der modernen Wirkstoff-Forschung, um eine bessere Ausschöpfung des "Wirkstoff-Portfolios" der Natur zu erzielen. Bereits die Auffindung und Auswahl ergiebiger "Quellen" ist hierbei von wichtiger Bedeutung. Biodiversitäts-geleitete Verfahren zur Isolierung neuer Mikroorganismen, die idealerweise neue Ordnungen, Familien oder Gattungen repräsentieren, erhöhen die Chancen zur Entdeckung neuer Naturstoffe enorm.

Eine zweite wichtige Säule bildet das Screening der Mikroorganismen auf die Produktion neuer Wirkstoffe. Die Analyse der Erbinformation mittels Genomik ermöglicht eine Abschätzung des theoretischen Potentials zur Wirkstoffproduktion. So können vielversprechende Quellen ausgewählt und über verschiedene technologische Tricks besser ausgeschöpft werden. Hierzu zählt beispielsweise das gezielte An- oder Ausschalten von Naturstoff-Biosynthesewegen über moderne molekularbiologische Methoden.

Mit Hilfe der heutzutage vorhandenen hochsensitiven chemischen und biologischen Analytik können die Mikroorganismen bzw. deren Extrakte auch auf Spuren von neuen Wirkstoffen hin analysiert werden. Die Suche ist also per se auf Naturstoffe zugeschnitten, die eine interessante Wirkung in unseren Assays zeigen, die auf bakterielle und pilzliche Problemkeime und Krebszelllinien fokussieren. Es werden jedoch auch strukturell neue Naturstoffe isoliert, die zunächst keine Wirkung in diesen Assays zeigen. Alle Substanzen landen in unserer Naturstoff-Bibliothek, die diversen Partnern aus Wissenschaft und Industrie für weitere Screening-Kampagnen zur Auffindung von additiven Aktivitäten zur Verfügung gestellt wird. Somit werden die Naturstoffe "kontinuierlich" auf weitere Wirkungen hin abgeklopft, z.B. auf antivirale Aktivitäten oder auf Wirkung gegen parasitäre tierische Einzeller (z.B. der Malariaerreger).

Die Suche nach neuen Wirkstoffen ist das Eine. Was machen Sie mit den Substanzen, wenn Sie eine Wirkung entdeckt haben?

Prinzipiell gehen wir danach schrittweise vor, um im Idealfall eine Substanz zu entwickeln, die für die Anwendung am Menschen geeignet ist. Es ist offensichtlich, dass dies ein langer und steiniger Weg ist, bei dem nur wenige Kandidaten am Ende erfolgreich sind. Ist eine vielversprechende Wirkung erkannt, geht es zunächst darum, ausreichende Mengen Substanz für weitere detaillierte Tests zur Verfügung zu stellen. Außerdem versuchen wir möglichst viele Derivate zu erhalten, um erste Struktur-Wirkungsbeziehungen zu ermöglichen.

Dabei kommen u.a. biotechnologische Verfahren zum Einsatz. Mittlerweile ist man sogar in der Lage, die komplexen Genbereiche, welche die Wirkstoffbiosynthese dirigieren, komplett synthetisch herzustellen und zu optimieren. Somit spielt gerade im Bereich der Wirkstoff-Forschung die Synthetische Biologie eine immer größere Rolle. Zielgerichtete Veränderungen von Naturstoffen gelingen mithilfe biosynthetischer Methoden. Diese beruhen oft auf der vorherigen Erkennung der Zielstruktur, des "Targets", und der strukturbiologischen Analyse der Interaktion mit dem Wirkstoff.

Hier setzt auch die medizinische Chemie an, welche basierend auf solchen Strukturen die häufig chemisch komplexen Naturstoffe durch einfachere und damit leichter zu optimierende Moleküle ersetzt. Dies ist auch deshalb wichtig, weil Naturstoffe im Lauf der Evolution nicht zur Anwendung am Menschen vorgesehen waren. In der Medizinalchemie spielt Modellierung mittlerweile eine herausragende Rolle, so dass rechnergestütztes Wirkstoff-Design immer wichtiger wird.

Neben der direkten Aktivität am Target muss aber für die pharmazeutische Anwendung auch das Profil des Wirkstoffes für die Anwendung am Menschen optimiert werden, die sogenannten pharmazeutischen Eigenschaften des Stoffes. Diese beinhalten beispielsweise das Toxizitätsprofil, die Absorptionseigenschaften und die Stabilität in Körperflüssigkeiten, um nur einige wichtige Parameter zu nennen. In direktem Zusammenhang hierzu steht der dritte wichtige Komplex der Wirkstoff-Forschung: Der Wirkstoff-Transport. Die moderne Wirkstoff-Forschung ist konsequent Wege weitergegangen und hat aktuelle Technologien wie den Einsatz von Nanopartikeln als Transporter für Moleküle möglich gemacht. Dazu benötigt man Modelle, um vor dem Einsatz am Menschen möglichst gute Vorhersagen über die Applikation von Wirkstoffen geben zu können. Auch hier sind in den letzten Jahren beispielsweise Alternativen zu Tierversuchen möglich geworden, welche hohen Vorhersagewert haben.

Seit 2009 gibt es das HIPS. Ziel der Gründung war es die Infektionsforschung des HZI und die traditionell starke Pharmazie-Forschung der Universität Saarbrücken zusammen zu bringen. Welche konkreten Erfolge gibt es?

Nach Unterzeichnung des ersten "Memorandum of Understanding" im August 2009 wurden im Jahr 2010 drei Abteilungen aus dem Fachbereich Pharmazie am HIPS aufgebaut, wobei die Abteilungsleiter weiterhin zu 20 % an der Universität des Saarlandes tätig sind. Zudem wurden mittlerweile erfolgreich zwei Nachwuchsgruppen im Helmholtz-Verfahren durch Alexander Titz und Andriy Luzhetskyy eingeworben. Letzterer erhielt zudem eine Förderung mit einem der begehrten "starting grants" des Europäischen Forschungsrats. Derzeit laufen die Verfahren für die Nachberufungen der drei Abteilungsleiter, wobei ein Ruf kürzlich angenommen, ein zweiter erteilt und das dritte Verfahren gerade begonnen wurde. Da die Universität auf das Gesamtpaket zudem drei Nachwuchsgruppen addierte, wird der Pharmaziestandort Saarbrücken durch die gesamte Entwicklung extrem gestärkt, so dass derzeit ein Zentrum für Pharmazeutische Forschung Saarland entsteht.

Im Fokus der Forschung steht wie oben bereits geschildert die Entdeckung, Herstellung und Optimierung von Wirkstoffen und deren Transport zum Zielort. Die pharmazeutische Expertise des HIPS mit seinem hervorragenden Umfeld an der Universität des Saarlandes konnte über die letzten vier Jahre sehr gut in die Forschungsausrichtung des HZI integriert werden. Das HIPS bildet mittlerweile ein wichtiges Standbein im Forschungsbereich "Anti-Infektiva", in dem es um die Auffindung und Weiterentwicklung von Wirkstoffen geht. Die hervorragende Integration zeigt sich auch darin, dass der Leiter des HIPS ebenfalls Sprecher dieses Forschungsbereiches am HZI ist. Diese Rolle des HIPS setzt sich nahtlos fort in der Rolle des gesamten HZI im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. Der Direktor des HIPS koordiniert hier stellvertretend für den Standort Hannover-Braunschweig die Infrastruktur "Natürliche Wirkstoff-Bibliothek" und fungiert als Co-Koordinator der Thematischen Translationseinheit "Neuartige Antiinfektiva".

Ohne Zweifel ist das Helmholtz-Institut in kurzer Zeit eine Brücke zwischen den außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der Universität des Saarlandes geworden. Das HIPS als gemeinsames Institut eines Helmholtz-Zentrums und einer Universität bietet sowohl dem wissenschaftlichen Nachwuchs an der Universität als auch der Forschungseinrichtung neue Möglichkeiten der Kooperation, von der beide Seiten profitieren.

In den Abteilungen und Nachwuchsgruppen arbeiten derzeit etwa 160 Personen, für 2015 werden basierend auf konservativen Schätzungen mehr als 150 MitarbeiterInnen prognostiziert. Über die letzten Jahre wurden bereits wichtige Beiträge zur Infektionsforschung geleistet, was sich in zahlreichen Publikationen niederschlägt, von denen eine Vielzahl in hervorragend anerkannten internationalen Zeitschriften erschienen ist.

Durch den Neubau werden die bislang auf dem Campus verstreuten Labore gebündelt ab 2015, was versprechen Sie sich von diesem Schritt?

Wir freuen uns darauf, dass das Institut ein "Gesicht" erhält, welches von Außenstehenden besser wahrgenommen werden kann. Durch Bündelung der bisher verstreuten Labore kann die Zusammenarbeit der HIPS-Gruppen noch enger und effizienter gestaltet werden. Zusätzliche Synergismen entstehen nicht nur durch die gemeinschaftliche Nutzung von Geräten, sondern vor allem auch durch die engere Kommunikation zwischen den Gruppen.

Im Vorfeld der Baumaßnahme konnten die Labore optimal an die Bedürfnisse der Wissenschaftler angepasst werden, um den Anforderungen der hochinterdisziplinären Forschung rund um Wirkstoffe gerecht zu werden. Last but not least erhalten unsere Nachfolger an der Universität nach dem Bezug des Neubaus optimale Bedingungen im erst 2008 bezogenen Forschungsgebäude der Pharmazie, welches wir derzeit gemeinsam nutzen, so dass das gesamte pharmazeutische Zentrum ab diesem Termin erst seine enormen Möglichkeiten optimal ausschöpfen kann.

Neubau Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland

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