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Festschrift der Helmholtz-Gemeinschaft

29 Mit Leipzig-Halle erhielt die Umweltforschung in der AGF eine neue Dimension und wurde nicht zuletzt um die im mitteldeut- schen Raum besonders relevanten Aspekte hochbelasteter Systeme und ihrer Sanierung ergänzt. Die Evaluierung der Aka- demie der Wissenschaften und ihre Abwicklung sowie die gene- relle Neustrukturierung der Forschungslandschaft der ehemali- gen DDR zeitigte auch sonst erhebliche Rückwirkungen auf die Wissenschaftslandschaft der alten Bundesrepublik und nament- lich auf die Großforschungseinrichtungen. So wies BMFT-Staats- sekretär Gebhard Ziller in einer Besprechung mit den Kaufmän- nischen Geschäftsführern der AGF im Frühjahr 1991 darauf hin, dass die früheren Diskussionen im Wissenschaftsrat über die Zukunft der Großforschungseinrichtungen sicherlich bald wieder aufleben würden, „und zwar nun mit dem Hinweis, daß die Insti- tute der ehemaligen DDR einem sehr strengen Begutachtungs- verfahren unterworfen würden, ähnliches im Westen aber nicht passiere“.73 Dies und die angespannte wirtschaftliche Situation ließ in den frühen 1990er Jahren die öffentliche Debatte um den Standort und die Zukunft der Großforschungseinrichtungen wieder aufleben. Ein zentraler Punkt der Standortdiskussionen war die beschleunigte Umsetzung von Forschungsergebnissen in die industrielle Produktion, wobei einige Wirtschaftsvertretern erneut mit dem Vorschlag aufwarteten, die Großforschung gleichsam zur verlängerten Werkbank der Industrie zu machen. Auch wenn solche Ideen sowohl in den öffentlichen Diskussio- nen als auch in der Politik kaum auf Resonanz stießen und doch als allzu interessengebunden bewertet wurden, verdeutlichen sie den enormen Druck, der auf den Großforschungseinrichtun- gen in dieser Transformationsphase lastete. Die Diskussionen zur Bewältigung der Krise blieben indes nicht auf den öffentlichen Raum und die Politik beschränkt, sondern wurden auch innerhalb der AGF geführt. So nutzte man im Spätsommer 1994 die Zusammenkünfte der wissenschaftlichen und administrativen Geschäftsführer, um neben den aktuellen Fragen auch informell über die künftige Struktur der AGF zu diskutieren. In einer gesonderten Runde fassten dann am 31. Oktober 1994 Joachim Treusch, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich und amtierender Vorsitzender der AGF, Manfred Popp vom Kernforschungszentrum Karlsruhe, der AGF-Gründungsvorsitzende Ernst-Joachim Meusel (IPP) und der DESY-Verwaltungsdirektor Helmut Krech die geführten Diskussionen zusammen, die dann auch auf der Mitgliederver- sammlung im November in Leipzig von Treusch kommuniziert wurden. Das Protokoll des Vierer-Treffens formulierte als Haupt- ziel einer Neustrukturierung der AGF „die breitere Einbindung gesellschaftlicher Gruppen in Anliegen und Probleme der Groß- forschungseinrichtungen sowie die Stärkung und organisatori- sche Absicherung der Kraft zur konzeptionellen Selbstgestal- tung“.74 Zur Realisierung dieses Ziels wurde konkret „die Bildung eines Senats für die AGF sowie die Stärkung der Forschungs- verbünde“ vorgeschlagen.75 Darüber hinaus wurde angeregt, den Verband nach dem Muster der Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft nach einer großen Forscherpersön- lichkeit zu benennen. Mit der Namensgebung wurde insbeson- dere das Ziel verfolgt, sich vom Begriff der Großforschungsein- richtung zu lösen, der wegen des darin enthaltenen ‚Groß‘ die Zentren einseitig beschreibt und daher negativ konnotiert war.76 Als Namenspatron wurden unter anderem Gottfried Wilhelm Leibniz, der Universalgelehrte und Akademiegründer aus dem 17. Jahrhundert, ins Auge gefasst, aber auch der 1986 von Terro- risten ermordete Karl Heinz Beckurts, langjähriger Leiter in Jülich und einer der prägendsten Vorsitzenden der AGF, der spä- ter in den Vorstand der Siemens AG wechselte. Am Ende fiel die Wahl auf Hermann von Helmholtz.77 Sein hoher wissenschaft- licher Rang als einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts und die große Interdisziplinarität seines Schaffens, das von der Medizin über die Physiologie bis zur Physik reichte, aber auch seine wissenschaftsorganisatorische und forschungspolitische Kompetenz, die ihm den ehrfürch- tig-ironischen Namen des „Reichskanzlers der Wissenschaften“ eingebracht hatte, sowie nicht zuletzt sein Wirken als Grün- dungspräsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, des ersten Großforschungsinstituts der Moderne, machen ihn zu einer denkbar passenden Bezugs- und Leitfigur für die um größere politische und gesellschaftliche Reputation ringende Großforschung. Da die Neustrukturierung der AGF möglichst öffentlichkeits- wirksam erfolgen sollte, strebte man an, die Umsetzung bis zur Jahresversammlung 1995 abzuschließen, die im November in Berlin stattfinden und ganz im Zeichen des 25-jährigen Jubilä- ums der AGF stehen würde. Somit war Eile geboten, und an- gesichts der komplexen Interessen der einzelnen Zentren und ihrer großen Autonomie war das Vorhaben auch mit einigen Risiken verbunden. Beispielsweise machte eine „Gruppe der konstruktiven Skeptiker“ um Hans-Joachim Specht von der GSI, Björn Wiik vom DESY und Max Tilzner vom AWI in einem Schreiben an Treusch deutlich, dass „die AGF als Verband bisher wenig Ansätze für eine programmatisch-strategische Neuausrichtung“ biete. Sie kritisierten die geplante, allzu starke Karl Heinz Beckurts (1930–1986). Foto: Forschungszentrum Jülich

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