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Festschrift der Helmholtz-Gemeinschaft

12 2. Entwicklungslinien der bundesdeutschen Großforschung bis zum Ende der 1980er Jahre Das Kriegsende, die von den Alliierten verhängten Forschungs- verbote und die Abwanderung vieler Wissenschaftler und Ingenieure ins Ausland verhinderten in Deutschland ein ähnlich hohes Maß an wissenschaftlicher Kontinuität über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinweg, wie es in den Siegerstaaten gegeben war. Gerade diejenigen Forschungsbereiche, in denen während des „Dritten Reiches“ Strukturen von Großforschung entstanden waren, wurden von den Verboten besonders hart getroffen: Kernphysik, Luftfahrt- und Raketenforschung. Zum Kristallisationskern der bundesdeutschen Großforschung wurde die Kernphysik. Aufseiten der Wissenschaft erwies sich dabei Werner Heisenberg als treibende Kraft. Als Heisenberg im Frühjahr 1946 nach seiner Internierung durch die Alliierten in Farm Hall nach Deutschland zurückkehrte, setzte sich auch die amerikanische Militärregierung sehr für seine Berufung nach München ein. Heisenberg zog jedoch das unzerstörte Göttingen vor, wo er neben seiner wissenschaftlichen Arbeit eine rasch expandierende Tätigkeit als Forschungsorganisator entfaltete. Sein Konzept einer vom Bund getragenen Forschungspolitik scheiterte zwar am Widerstand der Länder und vieler Kollegen. Als eine Art von Wissenschaftsberater Konrad Adenauers mit Immediatzugang zum Bundeskanzler hatte seine Stimme aber in allen Fragen der Forschung großes Gewicht, und dies ganz besonders im Bereich der Kernenergie. Heisenberg sah in der Kernenergie den Schlüssel für den indus- triellen Wiederaufstieg Westdeutschlands und drängte auf einen kraftvollen Einstieg in die Forschung. Als sich Mitte 1952 das baldige Ende der alliierten Verbote anzukündigen schien, gewann die Debatte um die Kernforschung rasch an Dynamik. Bereits im Februar 1952 hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unter Heisenbergs Vorsitz eine Kommission für Atomphysik ins Leben gerufen, die im November 1952 die Errichtung eines vom Bund zu finanzierenden Zentrums für Reaktorforschung forderte. Der Forschungsreaktor sollte auf der Basis von Natururan betrie- ben werden, um unabhängig von amerikanischen Urananrei- chungsanlagen zu sein. Niemand anderes als Heisenberg selbst, der an seinem Göttinger Max-Planck-Institut für Physik eine Gruppe prominenter Kernphysiker versammelt hatte, sollte das Projekt leiten. Allerdings machte er keinen Hehl daraus, dass für ihn nur seine Heimatstadt München als Standort infrage kam. Der sich nun entspinnende Konflikt um die Bundesreaktorstation zwischen Bayern und Baden-Württemberg, das als Alternative zu München den Standort Karlsruhe anbot, ist mehrfach aus- führlich beschrieben worden.14 Die beiden Länder rangen mit höchstem politischen Einsatz darum, durch die Ansiedlung die- ser großen Forschungseinrichtung die Führungsposition in der Zukunftstechnologie Kernenergie zu übernehmen. Schließlich erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer die außenpolitisch sensible Frage des Einstiegs der Bundesrepublik in die Kern- energie zur Chefsache. Nachdem der NATO-Oberbefehlshaber und das alliierte Oberkommando in Europa sich für Karlsruhe ausgesprochen hatten, da München zu nahe am Eisernen Vor- hang läge, entschied sich Adenauer für den Standort. Als Kom- promisslösung wurde Bayern mit dem Umzug des Heisenberg- schen Instituts nach München vertröstet. Wenn München sich noch in den 1950er Jahren zu einem international führenden Zentrum der Kernphysik entwickelte, so lag dies allerdings nicht an Heisenberg, der sich aus Verärgerung über die Standort- entscheidung zugunsten von Karlsruhe aus der angewandten Kernforschung zurückzog, sondern vor allem an Heinz Maier- Leibnitz. Der Kernphysiker hatte während seines Forschungs- aufenthalts in den USA 1947/48 die Strukturen amerikanischer Großforschung kennengelernt und nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik am von Walther Bothe geleiteten Institut für Physik des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg innovative Ideen für den Bau kernphysikalischer Ver- suchsanlagen entwickelt.15 1952 berief die Technische Hoch- schule München Maier-Leibnitz auf ihren Lehrstuhl für Techni- sche Physik, und die bayerische Staatsregierung ermächtigte ihn, für den Freistaat die Verhandlungen über den Kauf eines Swimming-Pool-Reaktors in den USA zu führen. Am 31. Oktober 1957 schließlich ging der Forschungsreaktor München im Garchinger Auwald in Betrieb – wenige Wochen vor Inbetrieb- nahme des ersten DDR-Reaktors in Dresden-Rossendorf. Am Beispiel der Kernforschungsanlage Jülich (KFA), dem zweiten bundesdeutschen Großforschungszentrum im Bereich der Kernenergie, lassen sich weitere wichtige Entwicklungslinien der Großforschung ablesen. Jülich verdankt sich vor allem der Initiative von Leo Brandt, dem ebenso dynamischen wie unkonventionellen Staatssekretär für Forschung in Nordrhein-Westfalen. Zwei Charakteristika markieren einen von Brandt eingeschlagenen „Sonderweg“ Nordrhein-Westfalens in der Kernforschung.16 Während sich die übrigen Bundesländer darum bemühten, sich mit dem Bund abzustimmen, wurde die Kernforschungsanlage Jülich „wenn nicht gegen das Interesse der Bundesregierung, so doch an diesem Interesse vorbei“ gegründet.17 Die Landesregierung sah in der KFA in erster Linie ein Instrument regionaler Forschungs- und Technologiepolitik, über das sie weitestgehend autonom verfügen wollte. Das zweite Charakteristikum resultierte aus dem Vorbild, das Nordrhein-Westfalen wählte. Während die süd- deutschen Länder und der Bund sich an den USA orientierten, blickte Düsseldorf nach Großbritannien. Neben persönlichen, aus der Zwischenkriegszeit stammenden Verbindungen und den durch die Besatzungszeit vertieften Beziehungen sprachen die relative Nähe zum britischen Kernforschungszentrum Harwell in der Grafschaft Berkshire, die hohe Leistungsfähigkeit der englischen Reaktortechnik und die Struktur der britischen Die Helmholtz-Gemeinschaft in historischer Perspektive

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