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Festschrift der Helmholtz-Gemeinschaft

11 komplex kostete das NS-Regime in Verbindung mit dem Bau der V 2-Raketen rund zwei Milliarden Reichsmark – und Zehntausen- den von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern das Leben.9 Die Großforschung als neuer Typus institutionalisierter Forschung lässt sich idealtypisch durch folgende Merkmale bestimmen:10 – die Einbindung verschiedener wissenschaftlich-technischer Disziplinen (Multidisziplinarität) in ein Vorhaben, in dessen Mittelpunkt häufig Großgeräte stehen, – die Bindung umfangreicher Ressourcen an Personal und Finanzen (Ressourcenintensität), – die überwiegende Finanzierung durch den Staat (Durchstaatlichung), – die Ausrichtung auf konkrete, mittel- bis langfristig angelegte Projekte (Projektorientierung), – die Verknüpfung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung im Vorfeld der industriellen Umsetzung (Innovationsorientierung), – die Ausrichtung auf Ziele, die für politisch und gesellschaftlich besonders relevant gehalten werden (Zielorientierung) sowie – der Dualismus von politischer Zielvorgabe und weitgehender Autonomie der Wissenschaftler in der Festlegung der konkreten Arbeitsziele. Großforschung ist zunächst also im wörtlichen Sinne durch Größe charakterisiert, wobei man unter „groß“ die Ausdehnung in mehrere Richtungen verstehen kann: geografisch in der Er- streckung auf große Areale und in ihrer wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Wirkung auf ganze Regionen, ökonomisch in der Durchführung von Projekten, die Millionen- und Milliardenbeträge verschlingen, technisch in der Gruppierung um Großgeräte, organisatorisch in der Größe und multidisziplinären Zusammen- setzung der Arbeitsgruppen, funktional in der Ausrichtung auf konkret definierte Großprojekte und häufig auch national in der Kooperation von Wissenschaftlern, die sich in Sprache, Ausbil- dung, Forschungsstil und kulturellem Hintergrund unterscheiden. Das Kriterium der schieren Größe jedoch reicht nicht hin, um big science von small science unterscheiden zu können.11 Groß- forschung ist nicht einfach groß im quantitativen Sinne. Das Spezifische der Großforschung liegt vielmehr in der engen Ver- knüpfung der drei gesellschaftlichen Teilsysteme Staat, Wissen- schaft und Wirtschaft. Großforschung richtet sich auf Ziele, die politisch und gesellschaftlich als vorrangig gelten. Anders formuliert: In der Großforschung hat sich die enge Koppelung von Forschung, Politik und Industrie, die als charakteristisch für die moderne Wissensgesellschaft gilt, besonders früh heraus- gebildet.12 Die Vorhaben der Großforschung zielen darauf ab, wissenschaftliches Wissen für Technik und Wirtschaft zu mobili- sieren, häufig verbunden mit nationalen Wohlfahrts- und Sicher- heitsinteressen. Es ist denn auch überwiegend der Staat – in zweiter Linie die Wirtschaft –, der die Großforschung finanziert. Der politischen Zielvorgabe im globalen Sinne entspricht die weitgehende Autonomie der Wissenschaftler in der Durchfüh- rung der Forschungsprojekte. Aus dieser Verortung in der Mitte des Interessendreiecks von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft resultiert eine strukturelle Steuerungsunsicherheit. Großfor- schung steht im Spannungsfeld von latenten Interessenkonflik- ten gesellschaftlicher Teilsysteme, die nicht selten manifesten Charakter annehmen. Als sich das bundesdeutsche Wissen- schafts- und Innovationssystem an der Wende von den 1960er zu den 1970er Jahren forschungskonzeptionell wie auch insti- tutionell neu orientierte, war dies in hohem Maße der Fall. Nicht von ungefähr fällt die Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen (AGF), der direkte Vorläufer der Helmholtz-Gemeinschaft, in genau diese wissenschaftliche und forschungspolitische Umbruchphase, die zugleich mit der tiefsten Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik bis zum Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung einher- geht. Und auch die Umbenennung in Helmholtz-Gemeinschaft selbst im Jahr 1995 ist im Zusammenhang mit der zweiten gro- ßen Zäsur in der bundesrepublikanischen Geschichte zu sehen: der Wiedervereinigung 1989/90 und den sich damit stellenden forschungspolitischen Herausforderungen. Das KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem während des Ersten Weltkriegs. Foto: Archiv MPG Die Kernforschungsanlage Oak Ridge, Tennesse, in der das spaltfähige Uran für die ersten US-amerikanischen Atombomben angereichert wurde. Foto: Sammlung D. Hoffmann

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